Digitale Verunsicherung Von Kindern, denen wir eine Lehre erteilen
Erzieherische Maßnahme? Wenn Kinder und Jugendliche ihre Lehrer im Internet kritisieren, sind sie sich der Tragweite ihrer Texte oft nicht bewusst. Offensichtlich können Heranwachsende genauso wenig mit dem Medium Internet umgehen wie ihre Erziehungsberechtigten.
Wo kein Vorbild, da kein Maßstab, an dem sich das eigene Verhalten ausrichten ließe. Aus. Bleibt nur das Richten.
Strafanzeige statt Vorbild? Ein Lehrer hat Strafanzeige gegen eine Schülerin gestellt, die ihn auf Facebook beleidigt hat. Und die Jugendrichterin am Amtsgericht hat geurteilt: Sozialstunden statt Social Media. So legt die Gesellschaft im Prozess den Offenbarungseid der Hilflosigkeit ab. Wir haben unsere Vorbildfunktion verletzt. Dafür wird ein 14-jähriges Mädchen zur Rechenschaft gezogen.
Wir müssten Medienkompetenz vermitteln. Doch wir vertrauen lieber Kindersicherungen bei Routern, Filterlisten in Browsern und Sperrfunktionen von Software und meinen, dass die Regeln für uns nicht gelten, da wir die Passwörter kennen. Wir posten Texte, versenden Fotos, verknüpfen Songs und verlinken Videos, ohne auf Urheberrecht und guten Ton zu achten, ganz so, als sei ein Internet-Forum identisch mit der Klotür, die wir einst mit dem Marker beschmierten.
Doch war damals unsere Meinung einer geschlossenen Gruppe der Folgenden vorbehalten, liest heute eine unbegrenzte Bande der Follower mit. Und während vormals begrenzte Produktionsmittel wie Carbondrucker, Kopiergerät und Offsetprinter das Interesse an öffentlichen Äußerungen weckten und jede selbstgefaltete Schülerzeitung, jedes verkaufte Heft und jede Lehrerkritik den Respekt vorm eigenen Wort festigte, ist heute Verantwortung im Sinne des Presserechts ein Fremdwort. Dabei hat jede Veröffentlichung unabhängig vom Wahrheitsgehalt das Potenzial auf weltweite Wahrnehmung. Die Geisterfahrer auf der Datenautobahn bremst keine Führerscheinkontrolle: Ihnen fehlt Medienkompetenz. Diese Vermittlung digitaler Moral ist Erziehungssache.
Das Internet hat uns zu Autoren gemacht, auch wenn wir uns als Leser empfinden: Wir teilen und herrschen. Dessen müssen wir uns bewusst werden. Dann können wir unseren Kindern mehr geben als Recht und Ordnung: Orientierung und Glaubwürdigkeit.