Digitale Verunsicherung Von künstlicher Intelligenz, die uns nicht versteht

Die letzten Meter. Noch steht die Straßenbahn an der Haltestelle. Unser Atem rasselt im engagierten Laufschritt, die Laptoptasche zieht an der Schulter, der Regen prasselt ins Gesicht.

Foto: Sergej Lepke

Die Lampen am Bahnsteig leuchten fahl in die Nacht und der Straßenbahnfahrer schaut interessiert nach vorne. Dann schließen sich die Türen, gerade in Reichweite. Sanft, lautlos, unaufhaltsam rollt die Bahn an, und wir wischen mit dem Ärmel Wasser und Schweiß von der Stirn. Unter tropfendem Plexiglasdach haben wir zwanzig Minuten Zeit, darüber zu sinnieren, warum der Fahrer uns keine fünf Sekunden gab.

Wir wissen es: Software entmündigt ihn und steuert den Takt des Schienenverkehrs. Sie stoppt die Züge, startet die Fahrt, regelt das Tempo. Wo sich die Gleise abseits der Fahrbahn oder unter der Straße ziehen, wo Kollisionen durch automatisch schließende Schranken vermieden und Fahrpläne durch automatisch schließende Türen eingehalten werden, da ist der Mensch Fremdkörper. Wie reibungslos liefe der Nah- und Fernverkehr, wäre da nicht der Passagier.

Da hilft nur Abfahren. Dabei ist die Ignoranz der Geräte keine Bosheit. Es ist einfach nur mangelnde Komplexität, programmatische Sturheit. Rechner haben keine Empathie. Unsere Gefühle sind keine Variante, die sich ihnen erschließt. Wer selbststeuernde Systeme hochrechnet zu künstlichem Geist, der irrt. Der Quantensprung zwischen Automatik und Verständnis ist so groß wie der Wandel von anorganischer Materie zu belebten Wesen. Ein ungedeckter Wechsel.

Die Diktatur der Maschinen: So perfekt die Abläufe funktionieren, so sehr sie sich gegen unsere Interessen richten, so lange sie uns im Regen stehen lassen, sind sie nur Beleg dafür, wie stümperhaft wir die Dinge beherrschen. Das Gute: Wir brauchen keine Angst zu haben, dass das programmierte Flickwerk schlauer wird als wir. Wer Rechner für klüger hält als ihre Erbauer, legt die Latte der Vernunft zu tief. Auf künstliche Intelligenz können wir noch lange warten im Nieselregen der Erkenntnis: Die letzten Meter bleiben unüberwindbar.