Anbandeln nach dem Lehrbuch: Wer flirten will, braucht Zeit

In Seminaren lernen die Kursteilnehmer, fremde Menschen anzusprechen ohne zu verkrampfen.

Düsseldorf. Die erste Flirt-Lektion gibt es noch vor dem „Guten Morgen“. Um herauszufinden, welche der allesamt Unbekannten, am vereinbarten Treffpunkt in der Innenstadt stehenden Damen denn nun die ist, mit der die telefonische Verabredung gilt, greift der Reporter zum Handy. Eine muss ja abheben.

Also: Freizeichen. Ein Blick. Und fünf Meter entfernt hebt Evelyn Lethaus ab. Lächelnd kommt sie rüber. „Na, da sind wir ja gleich beim Thema“, sagt die 58-jährige Flirt-Trainerin. „Warum haben Sie denn die Frauen hier nicht reihum nach ihren Namen gefragt?“ Diese Frage ist rhetorisch, denn Lethaus kennt die Antwort. Aus Angst.

Die Angst ist ihr Metier, seit die hauptberufliche Kommunikationstrainerin vor 14 Jahren auch das Flirten als Thema für Gruppenseminare entdeckte. Mit dem Schulen von Führungskräften verdient sie ihren Lebensunterhalt. Anderen die Kunst fürs Anbandeln beizubringen, das ist für sie die Spaß bringende Nebenbeschäftigung. Eine, die gut läuft, wie sie beim Latte Macchiato in einem Café erzählt, wo zig Menschen herumlaufen, deren Körpersprache sich trefflich beobachten lässt.

„Auch wenn ich es nicht darauf anlege — ich schaue mich schon um“, sagt Lethaus. Und dabei sieht sie täglich nicht wenige, die dieses eine Problem haben, das sie schier verzweifeln und an Lethaus‘ Seminartisch enden lässt. „Die Leute machen es sich komplizierter als nötig. Sie haben Angst davor, was passieren könnte, wenn sie jemanden ansprechen. Sie verkrampfen. Und dann geht nichts mehr.“

Anstatt einfach auf einen fremden Menschen zuzugehen und das Gespräch zu suchen — und sei es eins „über das Bild an der Wand“ — ziehen sie sich zurück. „Ihre ganze Körpersprache signalisiert den Umstehenden: Der da drüben will mit uns nichts zu tun haben. Also lassen wir ihn.“

Wie man dieses ungewollte „Lasst mich in Ruhe!“ vermeidet und ins „Sollen wir nicht mal quatschen?“-Gegenteil verkehrt, zeigt Lethaus Seminargästen, deren Biographien klar umrissen sind: „Ein Teil ist um die 40, mitten im Beruf und Single. Der andere Teil ist über 50 — das sind dann die Geschiedenen, die sich sagen: Jetzt bin ich wieder auf dem Markt, was mache ich nur?“ Dazu noch ein Rentner und ein ganz Junger — fertig sei die Runde. „Das ist keine Ansammlung von psychisch Gestörten“, betont Lethaus. „Das sind ganz normale Leute.“

Ihre goldenen Regeln fürs Flirten vermittelt sie in Rollenspielen und Gesprächen. Erstens: Trau dich, unter Leute zu gehen und diese anzusprechen. „Jeder freut sich doch, wenn sich andere für ihn interessieren.“

Zweitens: Vermeide sexuelle Anspielungen.

Drittens: Sprich niemals über den Beruf — denn dann droht gleich eine Kluft nach dem Motto „Oha, der ist Chefarzt, ich nur Krankenschwester.“

Viertens: Vergiss das Hau-Ruck-Verfahren. „Wenn einer nach dem ersten Seminartag sagt, er geht jetzt in die Disco und lernt den Partner fürs Leben kennen, ist das wie ein Ski-Anfänger, der die schwarze Piste fahren will.“ Nach ein paar Wochen die Frau an der Wursttheke im Supermarkt zum ersten Mal anzulächeln, sei schon ein Erfolg, auf den sich aufbauen lasse.

Und oft genug hat Lethaus diesen Erfolg tatsächlich: „Neulich saß bei mir im Firmenseminar eine Dame, die sagte: Sie wurden mir von meinem Partner empfohlen, der Ihr Flirt-Seminar besucht hat.“ Und einmal hätten sich ein Teilnehmer und eine Teilnehmerin in ihrem Kurs kennengelernt — und übers Wochenende ineinander verknallt. „Das hat mich umgehauen“, sagt Lethaus.