Töchter & Söhne Die große Foto-Familie Gursky
Andreas Gursky schätzt seinen Vater, und Willy Gursky würde nichts ohne den Sohn tun.
Düsseldorf. Sie sind beide eher zierlich von Statur, freundlich und zurückhaltend. Man ahnt, dass es sich um Vater und Sohn handelt. Ein berühmtes Duo, beide stammen sie aus Leipzig. Und beide haben sie einen berühmten Vorfahren. Die Genealogie der Gurskys lässt sich bis ins Jahr 1890 zurückverfolgen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Hans Gursky geboren, der als Flieger und Weltkriegs-Fotograf startete, bevor er 1919 bis 1923 eine Lehre als Industriefotograf absolvierte und 1923 selbstständig wurde. Er machte Porträt, Werbung und Urlaubsfotos in den Bädern Bansin und Bad Elster. 1927 eröffnete er sein Atelier in Taucha bei Leipzig. 1946 wurde er Innungsobermeister, später Landesobermeister von Sachsen. 1960 ist er gestorben.
Zu diesem Zeitpunkt war Willy Gursky 39 Jahre alt. 1921 geboren, studierte er an der Akademie für Graphische Künste in Leipzig und an der Bayerischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen in München. Nach dem Militär als Marine-Offizier, nach französischer Gefangenschaft und einem Intermezzo als Grafiker machte er sich 1949 in Leipzig mit Porträts und Werbung selbstständig. Ende 1955 wechselte er über einen fingierten Auftrag, den ihm ein Onkel von der Firma Krupp geschickt hatte, vom Osten in den Westen Deutschlands. Die DDR erlaubte ihm sogar, ein paar Kameras im Auto mitzunehmen. Seine Frau Rosemarie kam mit Klein-Andreas, dem Hund, dem Kinderbett und dem Kinderwagen am 30. Dezember 1955 im Zug in den Westen.
Willy Gursky gehört zu jenen Werbefotografen, die in den 1960er und 1970er Jahren das Wirtschaftswunder begleiteten. Er arbeitete für alle führenden Agenturen in Frankfurt, Hamburg, München und Düsseldorf. 1965 zog er in die ehemaligen Filmräume von Kubisch an der Gerresheimer Straße 33 und besaß nun ein Studio auf 450 Quadratmetern. In Eigenanzeigen schwärmte er von seinem Licht- und Kamerapark, der Frontprojektion („für jeden gewünschten Hintergrund“), den Schwarzweiß- und Farblabors und vor allem von den drei Studios für Tageslicht, Kunstlicht und Studioblitz. 50 Prozent seiner Fotos waren Aufträge. Sie kamen von Bosch bis Bols, Deinhardt bis Diolen, Felina bis Feldmühle, Karstadt bis Kaufhof, Maggi bis Schwarzkopf.
50 Prozent waren freie Aufnahmen. Gefragt war er für seine Porträts. Sie ergeben ein Who is Who der Persönlichkeiten von Rhein und Ruhr. Willy Gursky sagt: „Ich bin durch das Licht in der Malerei geprägt. Ich habe immer das Licht geliebt. Ich habe es wie ein normales Tageslicht gesetzt. Es ist weich, und trotzdem gibt es Akzente.“
Und Andreas Gursky, Jahrgang 1955? Willy Gursky sagt: „Andreas ist ins Fotografieren reingewachsen. Bei einem Foto zu Königspils hat er auf der Kiste gesessen. Und der Dr. König hat Bier gezapft. Andreas war damals drei, vier Jahre alt.“
Ob der Sohn dem Vater geholfen hat? „ Wir haben hier in Düsseldorf eine Zeit lang zusammengearbeitet. Dann hat er es seingelassen, weil er Werbefotografie nicht wollte. Er wollte frei sein. Aber er fragt mich auch heute noch. Selbst die neuesten Bilder bespricht er mit mir. Er legt auf mein Urteil einen sehr großen Wert. Das tut gut. So lange man gefordert ist, ist man noch drin im Leben.“
Der Vater über den Sohn: „Wenn Sie sich seine Bilder anschauen, die sind schon sehr sozialkritisch. 99 Cents zum Beispiel, oder das leere Regal bei Prada, das ist auch Zeitgeist. Er gibt sich eben nicht damit zufrieden, irgendetwas Schönes zu fotografieren. Das reicht nicht.“
Andreas Gursky lernte vom Vater die wichtigsten technischen Dinge, die Großbild- und Blitztechnik. Aber er distanzierte sich von dessen Stil. Er sagt: „Die Werbeästhetik musste ich erst einmal über Bord werfen. Das hat meine Entwicklung etwas verlangsamt.“ Dennoch, keiner verstand es so sehr wie er, seine Ernte einzubringen. Keiner zeigt so sehr wie er die Enzyklopädie des Lebens. Heute sind es die Großbilder, die Häuserpanoramen, die Blicke auf Luxushotels, Bürosäle, Börsen und die Jugendkultur, die einem den Atem verschlagen.
Gursky ist längst ein Weltreisender der internationalen Kunstszene. Dennoch bleibt er Düsseldorf treu. Und seinem Vater. Für ihn brachte er ein Buch als Privatdruck heraus. Ihn lädt er ein, wenn es etwas zu feiern gibt. In der ehemaligen elektrischen Kraftwerkzentrale der Rheinbahn, wo 1897 die erste elektrische Kleinschnellbahn Europas Tempo 40 fuhr, ist er zu Hause. Und die Eltern wohnen seit einem halben Jahrhundert in Lohausen. Dort steht im Hintergelände noch das Glashaus, in dem Willy Gursky all die Vips mit seiner Kamera ablichtete. Heute arbeitet er nur noch frei, wenn er nicht malt.