Die Lorettostraße und ihre Entwicklung
Die Lorettostraße wird immer exklusiver. Alteingesessenen Bewohnern wie Sabine und Dirk Boeck geht diese Entwicklung zu weit.
Düsseldorf. Herzlich willkommen auf der Sonnenseite der Gentrifizierung. Herzlich willkommen auf der Lorettostraße. Wo lange Zeit vor allem Arbeiter zu Hause waren, lässt es sich heute die Generation Milchschaum gutgehen. Zählt man das kurze Stück Neusser Straße hinzu, brummen hier auf einer Länge von 450 Metern sechs Cafés, zwei Eisdielen, zwei Pizzerien und drei Restaurants. Wer in letzteren an lauen Sommerabenden im Schatten von Robinien und Altbauten durchschnaufen will, sollte frühzeitig reservieren. Am ehesten findet sich spontan noch im D’Vine ein Plätzchen, dort kostet das Wiener Schnitzel allerdings auch 24 Euro.
Einem, der die Straße kennt wie kein anderer, wird sie plötzlich fremd. „Das ist nicht meine Kragenweite“, sagt Dirk Boeck trocken. Und diese Gastronomieterrassen nervten sogar ein wenig, da käme man ja kaum noch durch.
Schon als Kind wohnte der 48-Jährige im Haus mit der Nummer 17. Damals schaute er oft vor der Eingangstür sitzend der Straßenbahn zu, die in den 60er Jahren noch in beide Richtungen fuhr. Anfang der 90er übernahm er mit seiner Frau Sabine die Bäckerei im Hochparterre von seinem Vater, der sie wiederum von seinem Vater übernommen hatte. Heute gibt es beides nicht mehr, weder die Straßenbahn noch die Bäckerei.
„Wir haben den Strukturwandel der Straße nicht verkraftet“, sagt Boeck, der immer noch die kräftige Statue eines Bäckermeisters hat. Heute arbeitet er allerdings im Stahlhandel und seine Frau steht bei der ehemaligen Konkurrenz von Kamps hinter der Theke. „Das konnte ich mir nie vorstellen, aber wenn man mal arbeitslos ist . . .“, sagt Sabine Boeck den Satz nicht zu Ende.
Anfangs lief die eigene Bäckerei noch gut, aber dann wurde es schwieriger. Die Probleme begannen 1993. Zunächst wurde die Straßenbahn auf die Neusser Straße verlegt, dann der Rheinufertunnel eröffnet. Das bedeutete immer weniger Laufkundschaft und Verkehr, die Angestellten von RWI bekamen zum Beispiel ihre eigene Zufahrt über den Tunnel. Vollendet wurde diese Entwicklung mit dem Umbau der Straße im Jahr 2007: breiterer Gehweg, schmalere Fahrbahn, Tempo 30. Ergebnis: bessere Wohnlage, aber noch weniger Laufkundschaft, die Lorettostraße ist nun endgültig keine Durchgangsstraße mehr. Genau in diesem Jahr gab Boeck seine Bäckerei auf.
Die Straße hat ihren Charakter in diesen 15 Jahren stark verändert. Ein weiterer wichtiger Faktor dafür: die Entwicklung des Medienhafens. „Früher wohnten hier noch viele Hafenarbeiter, heute ziehen vor allem junge Gutverdiener her“, sagt Boeck. Das spiegele sich auch an den zahlreichen neuen Geschäften wider. „Lange Zeit gab es hier alles und für jeden. Das ist heute anders“, sagt Sabine Boeck.
Wo früher Metzger waren, Strauß, Plus, ein Waschsalon und Geschäfte für Spielzeug, Schreibwaren, Eisenwaren und Bücher, finden sich heute zahlreiche exklusive Boutiquen für Kinder und Erwachsene. Bei Tuxedo kann ein Schal 100 Euro kosten — aber auch schon mal 500. Im neusten Geschäft auf der Lorettostraße kann man sich schlanke Trendräder nach eigenen Wünschen zusammenbauen lassen. In der ehemaligen Bäckerei der Boecks geht heute bei Yomaro zu Preisen von 2,60 Euro bis neun Euro „Frozen Yogurt“ über die Theke. Und zwar wie warme Semmeln. „Lecker ist das ja, aber auch teuer“, sagt Sabine Boeck. „Langsam komme ich mir vor wie in Klein-Oberkassel.“
Viele können sich das nicht mehr leisten. Die Mieten steigen rasant. Auch für halbherzig sanierte 100 Altbauquadratmeter werden nicht selten 1200 Euro Kaltmiete aufgerufen. „Wir haben Glück, weil wir so einen alten Mietvertrag haben. Auf der Straße umzuziehen, könnten wir uns nicht mehr leisten“, sagt Sabine Boeck.
Jüngstes Opfer der Preisspirale ist der Schuster gegenüber an der Lorettostraße 22. Mehr als 15 Jahre lang führte Hans-Peter Hütten seinen Betrieb und war die gute Seele der Nachbarschaft. Stets nahm er die Postpakete für die Anwohner an, verteilte zur Weihnachtszeit fleißig Plätzchen. Doch im Sommer war Schluss. Eine weitere Mieterhöhung konnte er nicht mehr verkraften. „Die Straße ist sehr schön. Aber die Geschäfte, die Dinge des täglichen Bedarfs anbieten, gehen nach und nach“, sagte der Schuhmacher damals der WZ und er fürchtete: „Die Straße wird immer hipper, die Mieten steigen immer weiter — sie wird noch zusammenbrechen.“
Ein Nachmieter für Hütten ist übrigens schon gefunden. Keine Überraschung ist es, dass dort eine Boutique für Damenmode einziehen wird. Ende des Monats will Jácia de São Pedro ihr Geschäft „Jacys“ eröffnen. Bisherige Standorte sind Verona und Paris. Dirk Boecks ironischer Kommentar: „Das ham wa nötig.“