Die Welt unter der Bunkerkirche

Die Bunkerkirche ist nicht nur nach oben hin ein bizarres Gebilde. Auch unter ihr finden sich Zeugnisse der Vergangenheit.

Bruno Kammern hat die Zeit des Krieges selbst miterlebt. Die Unterwelt der Bunkerkirche ist für ihn ein besonderer Ort.

Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Wer die schwere Eichentüre der aus rohem Beton erbauten Bunkerkirche in Heerdt öffnet, gelangt in einen kleinen und niedrigen Vorraum. Weiß und kalt sind hier die Wände, karg eingerichtet der Raum. Wer in die Kirche will, stößt auf eine zweite Türe. Aus klarem Glas ist die gefertigt und offenbart einen ersten Blick ins Kirchenschiff unter der Betonhaube. Es sind lange aber einfache Bänke, die im Inneren der Kirche stehen. Weder Schmuck, noch Schnörkel ziert das Mobiliar, im Altarraum befindet sich ein steinerner Opfertisch. Alles scheint wie in einer normalen Kirche zu sein.

Auf Holzpritschen in winzigen Zellen verbrachten Menschen oft mehrere Tage.

Foto: Melanie Zanin

Doch eines ist seltsam — an den Wänden sind im Abstand von zwei bis drei Meter wagerechte Abdrücke zu erkennen. Sie wurden mit weißer Farbe übermalt, aber dennoch sind sie sichtbar. Es sind Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, die unsere Welt geprägt hat, wie kaum eine andere es vermocht hat. Es sind Zeugnisse der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges. Was sie zu bedeuten haben erklärt sich, wenn man in eine triste Ecke neben dem Altar blickt.

Mittels einer mittlerweile verrosteten Pumpanlage mussten die Fäkalien von Hand in die Kanalisation herabgelassen werden.

Foto: Melanie Zanin
Düsseldorfer Unterwelten: Die Bunkerkirche in Heerdt
39 Bilder

Düsseldorfer Unterwelten: Die Bunkerkirche in Heerdt

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Dort befindet sich eine kleine und unscheinbare Tür — weiß wie die Wand ist sie, es scheint, als wolle sie sich vor den Blicken der Besucher verstecken. Es ist die Eingangspforte zu einer ganz anderen Welt, die fernab des Kirchenalltags zu liegen scheint, aber doch nur wenige Meter unter den Füßen der Kirchenbesucher schlummert.

Den gesamten Turm, von oben nach unten, durchzieht eine Betonrampe — sie ermöglichte es auch Müttern mit Kinderwagen, in den Keller zu gelangen.

Foto: Melanie Zanin

Wer den schweren Schlüssel im Schloss umdreht und durch die kleine Stahltüre tritt, gelangt auf eine schneckenartige Rampe, die kontinuierlich nach unten führt. Auch hier fehlen jegliche Schmuckelemente: Roh liegt der Beton der Rampe offen, kahl und rau sind die grauen Wände. Verrostete, löchrige Rohre verlaufen unter der Decke, als wollten sie zeigen, dass das Leben diesen Teil des Betonklotzes schon längst verlassen hat.

Auch von außen ein bizarres Gebilde: Die Bunkerkirche in Heerdt mit ihrem hohen runden Glockenturm.

Foto: Melanie Zanin

Nach einiger Zeit flacht die Steigung der Rampe ab und es tut sich der Boden des Turmes auf, in dem die Rampe verläuft. Silbern glänzende Lüftungsschächte verlaufen unter der Decke, zur linken Seite führt ein schier unendlich langer Gang in die Tiefen der Unterwelt unter der Kirche.

Wer den Gang entlanggeht, schaut in viele kleine Kammern, die rechts und links jeweils symmetrisch vom Kellergang abzweigen. Die Türen sind größtenteils entfernt worden, das einstige Mobiliar aus den Räumen transportiert. Allzuviel Platz scheint hier für Möbel nicht gewesen zu sein — etwa sieben Quadratmeter groß ist eine Zelle. Die Wände genau dieser Art von Zellen sind es, die die Abdrücke im Kirchenraum oben hinterlassen haben. Denn früher setzte sich das Kabinensystem auch über dem Keller fort, bis unter die Decke des Bunkers.

Erinnerungen an ein Gefängnis drängen sich auf, und doch kamen früher Menschen freiwillig in die Räumlichkeiten unter der Erde, belagerten sie gar.

Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbricht, beschlagnahmen die Nationalsozialisten widerrechtlich das Grundstück am Handweiser, das eigentlich für den Kirchenbau vorgesehen war und bauen darauf einen Luftschutzbunker. Bruno Kammern, der sich mit der Geschichte des Heerdter Bunkers beschäftigt hat, hat die Kriegszeit in Düsseldorf miterlebt. „Wir wussten damals genau, wann die Bomber kommen“, sagt er. Möglich gemacht habe das ein Drahtfunk zu benachbarten Städten. „Im Volksempfänger wurden dann die Warnungen durchgegeben“, sagt Kammern.

Mindestens zehn Minuten blieben den Düsseldorfern, um in einem Bunker Schutz zu suchen. Pflicht war das freilich nicht. Wer wollte, konnte auch zu Hause bleiben. In Heerdt waren es vor allem die Frauen und Kinder der benachbarten Siedlung, die in den Bunker kamen. 2000 Menschen konnten hier Platz finden, voll waren die Räume nie. „Fast alle Männer blieben zuhause und passten auf das Haus auf. Im Ernstfall musste schließlich gelöscht werden.“

Es herrschte damals Ruhe im Bunker und Panik davor, wenn die Bomber über Heerdt flogen. „Nicht alle konnten auf einmal in die Hallen hinein, oft gab es Staus“, erinnert sich der Bunker-Experte, der die Situationen in Lierenfeld miterlebt hat. Besonders Mütter mit Kinderwagen hielten damals den Verkehr auf — zu schmal waren die Gänge und zu steil die Rampe, um schnell voran zu kommen.

Wer sich in welche Zelle verkroch, war nach einiger Zeit klar geregelt. „Jeder hatte seine Stammzelle“, sagt Kammern.

Sechs Liegeplätze gab es pro Kammer, die Toiletten befanden sich auf dem Gang. Von ihnen ist heute nichts mehr zu sehen. Längst wurden die Schüsseln und Becken ausgetauscht. Abgepumpt werden mussten die Fäkalien damals noch von Hand. In einem großen Raum am Ende eines Ganges steht noch immer eine alte Pumpanlage, mit der die Fäkalien in die Kanalisation herabgelassen werden konnten.

Verrostet ist der lange Hebel der Pumpe, vom blauen und löchrigen Eimer daneben blättert die Farbe langsam ab. Staub hat sich auf den großen Zylindern der Pumpe niedergelassen und längst haben sich die Schrauben der Deckel gelöst. Es ist kein Ort, den Bruno Kammern gerne zeigt. Schnell eilt er weiter, durch die Gänge des Kammersystems, tief unter der Erde.

Eins war damals schon gewiss, sagt er: „Wer im Bunker war, war sicher. Die Betonschicht des Bunkers konnte keine Bombe durchdringen.“ Nach Kriegsende im Jahr 1945 wurde auch der Bunker nicht mehr benötigt. Ein Architekt entfernte von 1947 bis 1949 die oberen Kammern und stellte den Kirchenraum in seiner heutigen Form frei. Das System im Keller aber ist bis heute erhalten und zeugt von harten Stunden der Heerdter im Bunker, während über ihnen die Bomben fielen.