Krokodilstränen für den Tausendfüßler
Die umstrittene Hochstraße in Düsseldorf wird ab Montag abgerissen.
Düsseldorf. Er hat große Emotionen erweckt und große Worte auf sich gezogen. Wenn er nun am Sonntag den Weg alles Irdischen geht und zu Staub wird, so erklingt zum Abschied Dixie-Musik.
Schwarz gekleidete Damen und Herren werden ihm ihre Reverenz erweisen: Düsseldorf verabschiedet sich von seinem Jahrzehnte-Zankapfel Tausendfüßler — der wegen seiner vielen Stelzen so genannt wird. Marode ist die Hochstraße schon lange. Aber die Stadt steckte kaum mehr Geld in die Straße.
Denn seit zehn Jahren war klar, dass die schwarz-gelbe Ratsmehrheit die Brücke abreißen und den Verkehr in vier Tunnels verlegen will. Der erste ist bereits eröffnet, der letzte soll 2015 fertig sein.
Kö-Bogen heißt das Gesamtprojekt, das die Düsseldorfer Innenstadt in neue Dimensionen führen soll: Zunächst entstehen auf dem Jan-Wellem-Platz die Libes-kind-Bauten, dazu wird die Kö in den Hofgarten verlängert. Eröffnung ist im Herbst. Im zweiten Bauabschnitt gibt es eine neue Allee, und der Hofgarten wird vergrößert. Öffentliche und private Investitionen werden bei mehr als einer Milliarde Euro liegen.
Der Tausendfüßler steht dieser Entwicklung im Weg und hat viele Auseinandersetzungen verursacht. Ein Bürgerbegehren scheiterte, die Hochstraße wurde zum Symbol einer Düsseldorfer Malaise. Denn die Stadt ist arm an historischen Bauwerken. Dass ausgerechnet der Tausendfüßler in diesem Zwiespalt so viele Sympathien ernten würde, war nicht zu erwarten.
Er wird von vielen Bürgern nicht gerade als Schmuckstück empfunden, und als er wegen seiner besonderen Bauweise und als Zeugnis der Nachkriegsarchitektur in den neunziger Jahren unter Denkmalschutz gestellt wurde, kratzte sich so mancher verständnislos am Kopf — während Bauexperten mit der Zunge schnalzten und die filigrane Verbauung des Betons hochlobten.
So ist in der Geburts- wie der Todesstunde des Tausendfüßlers vielstimmiges Remmidemmi zu vernehmen. Beim Wiederaufbau nach dem Krieg wurde bereits an eine Tunnellösung gedacht, dann aber gab es das Votum für die günstige Hochstraße — sie kostete 5,2 Millionen Mark. 1961 gab es eine Großdemo, weil ein zu starker Eingriff in den Stadtpark befürchtet wurde. Heute regiert die Angst vor zu hohen Kosten und hässlichen Tunnelrampen.
Das Ende ist prosaisch. Wenn die Dixie-Klänge verhallt und die Schaulustigen gegangen sind, rücken am Montag Experten aus dem Emsland an. Sie werden den Tausendfüßler zersägen und pulverisieren. Drei Tonnen wiegen die Scheren, die den Beton der Rampen zerknacken. In der Mitte wird die Hochstraße mit Kreissägen in 100 Teile geschnitten. Am Ende gehen 15 000 Tonnen Betonschutt ins Recycling.