Serie: Die besten Düsseldorfer Live-Konzerte „The Clash“: Der Tag, an dem der Punkrock starb
Am 18. Mai 1980 traten „The Clash“ in der Philipshalle auf. Und ihr Techniker tötete den Punk.
Düsseldorf. An diesem Tag starb Punk. Zumindest für Jürgen Engler, Frontmann von Düsseldorfs erster Punkband Male (Gründung: Dezember 1976). Die sollten damals für Lokal-Kolorit im Vorprogramm von The Clash sorgen. Engler, heute Krupps-Mastermind und als freier Produzent im texanischen Austin lebend, empörte sich. Der Chef-Techniker von The Clash hatte sich erdreistet, den jungen Habenichtsen 500 D-Mark für den (fast) kompletten Einsatz von Licht- und Ton-Equipment abknöpfen zu wollen, andererseits würde nur eine Sparversion zum Einsatz kommen.
Die angesäuerten Jungs aus Bilk ließen sich natürlich nicht auf den Deal ein, kamen aber letztlich glimpflicher davon als ihre Vorgänger The Nighthawks, eine Ska-Truppe aus München. Die starteten den Abend in der teilbestuhlten Philipshalle in rabenschwarzen Anzügen, die sich dank einer unglaublichen Speichelproduktion und enormer Zielsicherheit des Publikums in den ersten Reihen binnen Minuten taubengrau verfärbten. Auf der Bühne angespuckt zu werden war zu diesem Zeitpunk(t) schon keine Ehrbezeugung mehr, sondern diente längst wieder seinem ursprünglichen Zweck. Man mochte keinen Ska. Erst Recht keinen aus Bayern. Trotz eifriger Wischmob-Aktivitäten war noch so viel Restmunition auf dem Bühnenboden liegen geblieben, dass Gitarrist Stefan Schwab (heute: Opa im Cashbar Club) ausrutschte und rücklings hinschlug. Leider gibt es nur ein paar Privatdokumente dieser unfreiwilligen Slapstick-Einlage.
Dann wurde es ernst. Unter den wuchtigen Klängen eines Spaghetti-Western-Soundtracks stürmten sie ganz unpathetisch auf die Bühne: Joe Strummer, Topper Headon, Mick Jones und Paul Simonon, die Gründungsmitglieder einer der größten und stilbildenden Punkbands aller Zeiten. Das Original. Die legendäre Urbesetzung, die sechs Jahre und fünf Alben (1977 bis 1982) Bestand hatte. Ich kenne jüngere Männer, die gerne zehn ihrer Lebensjahre hergeben würden, wären sie dabei gewesen.
Dabei ist mir dieser historische Gig musikalisch gar nicht in guter Erinnerung geblieben. Das Konzert startete mit „Clash City Rockers“ und endete 24 Songs später mit „London’s Burning“. Spätere Hits wie „Should I Stay or Should I Go“, „Rock the Casbah“ oder „This Is England“ waren noch nicht komponiert und ihr wahrscheinlich bester Song, „London Calling“, im letzten Teil des Sets versteckt (nur wenig später wurde er stets zum Opener). Auch der „volle Sound“ klang miserabel, der Bass knallte nicht, die Band agierte uninspiriert, „Armageddon Time“ wurde lediglich in der kurzen Version gespielt.
Doch das düsseldörfliche Publikum erwies sich als äußerst gastfreundlich. Es traute sich nicht, durch weitere Spuckattacken das Konzert zu gefährden, auch große Handgreiflichkeiten blieben aus.
An den zwei folgenden Tagen kam die umstrittene Band nicht mehr so ungeschoren davon. Ihre beiden Auftritte in der Hamburger Markthalle waren von Straßenschlachten und Konzertabbrüchen überschattet. Bewahrer der Punkideologie hatten The Clash den Pakt mit dem Kapitalismus, den Plattenvertrag mit der CBS, nicht verziehen und protestierten gegen diesen Verrat mit Gewalt.
Am 19. Februar 1984 kehrte Strummer mit allen Hits und provokantem Irokesen-Haarschnitt zurück in die Halle an der Siegburger Straße, aber seine alten Weggefährten hatte er inzwischen durch namenlose Studiomusiker ausgetauscht. Spätestens an diesem ungemütlichen Abend in Oberbilk roch Punk schon sehr streng, auch für mich.
Drei Jahre später traf ich zufällig Joe Strummer in einer Münchener Hotelbar wieder. Uhrzeit: Kurz vor Mitternacht. Ambiente: Bayerisches Stüberl, blau-weiße Folklore, Dirndl-gewandete Kellnerinnen, Starkbier vom Fass. Ich: Im Schlepptau der Düsseldorfer Band Belfegore, die zuvor das Vorprogramm von U2 in der Olympiahalle bestritten hatten. Er: ganz in schwarzem Leder, Iro und in Halbmast-Stellung auf einem Barhocker. Wir: Großes Hallo. Er: Runde. Wir: Runde. So ging es weiter. Zwei Stunden später. Er: Immer noch auf Halbmast. Mit tiefer, zerschossener Stimme Trinksprüche und Anekdoten raus hauend. Vergilbte Zähne bleckend. Alle: Kettenrauchend (war damals stets und überall erlaubt). Irgendwann: Der Belfegore-Roadie übergibt sich mit zwei Atü in der Lobby; der Rest der Truppe zerstreut sich schwankend. Er: Am Ende der Fahnenstange immer noch eins mit sich, dem bayerischen Bier und dem Barhocker. Dummerweise waren damals Selfies noch nicht erfunden. Joe Strummer verstarb 2002 im Alter von 50 Jahren.