Krefeld/Meerbusch Eine Landwirtschaft im Grenzbereich von Krefeld und Meerbusch
Krefeld/Meerbusch · Unter dem Titel „Grenzgänger“ suchen unsere Reporter Geschichten entlang ausgewählter Gemeindegrenzen im Verbreitungsgebiet dieser Zeitung. Diesmal geht es an die Grenze von Krefeld und Meerbusch.
Es ist einer dieser Tage, die wirken, als hätte jemand einen großen Eimer Deckweiß ins Himmelsblau gekippt. Gleich wird sich Brigitte Fehmers wieder auf den Weg zum Einkaufen machen. 20 Minuten von Krefeld nach Lank-Latum, wenn sie nicht bummelt. Und 20 Minuten wieder zurück. Seit die 77-Jährige vor 15 Jahren aus dem Meerbuscher Stadtteil nach Krefeld gezogen ist, hat sie das Walken aufgegeben. Bewegung hat sie auch so genug. „Ich fahre kein Auto mehr.“
Aber was heißt eigentlich „Nach Krefeld gezogen“? Gefühlt wohnt sie immer noch in Lank-Latum wie die 55 Jahre zuvor. Postalisch zählt ihre Adresse weiter zu Meerbusch, auch die Telefonnummer ist die Meerbuscher, nur die Müllabfuhr wird von der Stadt Krefeld übernommen. Aber aus der Stadt raus, das ist für Brigitte Fehmers gleichbedeutend mit „Aus der Tür raus“: Der asphaltierte Weg vor dem Haus am Latumer Bruchweg markiert die Grenze zwischen der kreisfreien Stadt am Niederrhein und der nördlichsten Kommune im Rhein-Kreis Neuss. Fehmers ist tägliche Grenzgängerin in Serie.
Den Schritt, den sie mit ihrem Mann gemacht hat, um einen Alterssitz auf dem Gelände des landwirtschaftlichen Betriebs ihres Schwiegersohns Johannes Judenau zu haben, den hat gleich der ganze Hof einst auch gemacht. Judenaus Eltern hatten ihren Betrieb noch mitten in Lank-Latum. Aber dann gab es Umsiedlungsprogramme, um innerorts Entwicklung zu ermöglichen. 1963 begannen die Bauarbeiten für den neuen Hof. „Drei Monate nach meiner Geburt war er fertig und wir sind umgezogen“, erzählt der heute 53-Jährige. Seit 1989 hat er den elterlichen Betrieb übernommen.
Aber ein Hin und Her ist ohnehin typisch für dieses Fleckchen Erde. Erst seit 1910 machen die einst selbstständigen Gemeinden Lank und Latum gemeinsame Sache. 1970 wurden sie Teil der neuen Stadt Meerbusch. Die sollte nach einem Beschluss des Landtags aber bereits vier Jahre später wieder aufgeteilt werden. Lank-Latum wäre nach dem Willen der Politiker an Krefeld gefallen. Aber Meerbusch wehrte sich gerichtlich – und mit Erfolg: 1976 bestätigte der Landtag die Existenz der Stadt.
Die weitere Existenz der Landwirtschaft ist dagegen heute umkämpfter als damals. Johannes Judenau hat noch Glück im Unglück: Milchvieh und Schweine wurden schon vor Jahrzehnten abgeschafft. Jetzt lebt der Betrieb vom Getreideanbau, der Heu- und Strohproduktion für Pferdeställe, Lohnarbeiten für andere Landwirte – und einer besonderen Form des Grenzgängertums: Judenau hat im Auftrag der Stadt Meerbusch die Deichpflege zwischen Uerdingen und der Stadtgrenze zu Düsseldorf übernommen.
Tochter Jana möchte den Hof trotz aller Unsicherheit übernehmen
Aber die Lage bezeichnet der Landwirt dennoch als „sehr angespannt“: Die Trockenheit führt zu erheblich schlechteren Ernten, „wir hängen aber trotzdem an den Weltmarktpreisen.“ Und die sind nicht üppig. Eine Unsicherheit, die Tochter Jana (16) dazu bewogen hat, nach dem gerade erfolgten Schulabschluss im August erst mal eine Ausbildung als Außenhandelskauffrau zu beginnen, obwohl sie sagt: „Eigentlich möchte ich den Hof nach wie vor übernehmen.“
Einen Hof, der nicht nur an der Grenze zwischen Krefeld und Meerbusch liegt, sondern auch am Naturschutzgebiet Latumer Bruch, das trotz seines Namens nicht zu Lank-Latum, sondern zu Krefeld zählt. Anfänglich hatte Landwirt Judenau Angst vor der Zukunft, als die Stadt begann, in dem Schutzgebiet immer mehr Ackerland als Dauergrünland auszuweisen. „Aber inzwischen hat sich das zum Positiven entwickelt.“ Er hat im Einvernehmen mit dem Grünflächenamt die Heumahd übernommen und wird dafür entlohnt. Der Latumer Bruch selbst ist kaum zugänglich. Es gibt keine Wege, die das Naturschutzgebiet queren. Der südöstliche Rand markiert zugleich die Stadtgrenze.
Aber auch wenn Jana Judenau diesseits der Grenze zu Hause ist: „Ich würde nicht sagen, dass wir in Krefeld wohnen.“ Die Familie kauft in Lank-Latum ein, Janas Schule war in Meerbusch-Büderich, für die Ausbildung fährt sie ab August mit der Vesper ins nahe Willich. Trotzdem kennt sie die Scherze zu Genüge: „Ach, ihr aus Krefeld!“ Aber so kurios wie auf dem Nachbarhof in Sichtweite ging es hier nie zu. Als der noch bewirtschaftet wurde, lag das Wohnhaus auf Meerbuscher Seite, der Kuhstall aber in Krefeld. Ging der Bauer für das Melken über den Hof, wechselte er von einer Stadt zur anderen.
Doch die Zeiten sind vorbei, der Betrieb ruht schon seit Jahren – wie an vielen anderen Stellen in der Region. „Und schaut man zehn Jahre weiter, werden noch mehr Betriebe aufgegeben haben“, ist Johannes Judenau sicher. „Landwirtschaft bedeutet viel Risiko, viel Arbeit und eine hohe Kapitalintensität.“ Seine Tochter bringt das zwar manchmal ins Grübeln, aber von ihren Plänen will sie sich trotzdem nicht abbringen lassen. „Mir hat das schon immer Spaß gemacht, auf dem Hof zu helfen.“ Auch wenn sie manchmal um 23 Uhr noch auf dem Feld war, während die Freundinnen sich am Rhein trafen. „Für mich war das immer selbstverständlich.“ Seit Januar hat sie auch den Treckerführerschein.
Den milchigen Himmel über dem Krefeld-Meerbuscher Grenzgebiet durchzieht gerade ein Flugzeug. Janas Oma Brigitte Fehmers blickt nach oben und sagt: „Ich sehe das gerne. Wenn ein 380er Airbus kommt, finde ich das herrlich. Aber bis ich die Kamera geholt habe, ist er schon wieder weg.“ Der Fluglärm stört weder sie noch ihren Mann. Was sie macht, das macht sie zu Fuß. 20 Minuten bis zur Ortsmitte von Lank-Latum, wenn sie nicht bummelt. Aber nur wenige Schritte bis zur Grenze.