Brücke in die Gehörlosen-Seele

Jennifer Söhn hilft mit Psychotherapie in Gebärdensprache. Sie weiß um die vielen Alltagsprobleme ihrer Patienten.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Über den Mangel an Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen kann sich die Gebärdendolmetscherin Jennifer Söhn noch immer ärgern. „Erst seit ungefähr 2001 ist die Gebärdensprache offiziell anerkannt“, sagt sie. Dann schildert sie, dass man noch in nicht weit zurück liegender Vergangenheit, Eltern von gehörlosen Kindern erzählt hat, sie sollen nicht Gebärdensprache lernen, sondern das Kind zwingen, dem Gegenüber die Worte von den Lippen abzulesen. „Aber man kann nur rund 30 Prozent des Gesprochenen von den Lippen ablesen.“

Foto: Dirk Jochmann

Wegen solcher Fehlinformationen konnte sich in vielen Familien mit einem gehörlosen Kind keine richtige Kommunikation entwickeln, weiß die geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Als Mitarbeiterin der Krefelder Krisenhilfe kennt sie auch die Auswirkungen dieser mangelhaften Kommunikation: „Spezifisch für Gehörlose sind Gefühle der Einsamkeit und des Ausgegrenzt-Seins, des Nicht-Ernst-Genommen-Werdens und ein mangelndes Selbstwertgefühl“.

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In ihren psychotherapeutischen Sitzungen mit derzeit sechzehn Fällen wird sie immer damit konfrontiert. „Die Gehörlosigkeit erfordert an sich schon einen erhöhten Energieaufwand, wenn sich die Betroffenen mit Hörenden auseinandersetzen müssen“, schildert sie. „Wenn es dann noch zu einer Krisensituation, zum Beispiel einem Unfall kommt, die oder der Betroffene, Zeuge oder Opfer einer Gewalthandlung wird, können daraus auch psychische Erkrankungen entstehen“. Das diese dann angemessen und professionell behandelt werden, sei keineswegs selbstverständlich.

In Deutschland gibt es gerade einmal ein Dutzend niedergelassener Psychotherapeuten in Gebärdensprache. Mit ihrem Einsatz für die Krefelder Krisenhilfe beziehungsweise dem Angebot, das durch das Zentrum für Psychotraumatologie des Alexianer Krankenhauses Maria Hilfe ermöglicht wird, gehört Jennifer Söhn zu den wenigen Expertinnen im Land.

Sie hat die Gebärdensprache wie eine Fremdsprache gelernt und in der Arbeit mit Gehörlosen vieles über deren Leben erfahren: „Sie haben eine eigene Kultur, eigene Vereine, einen eigenen Humor. Die Gebärdensprache ist nicht international, so gibt es eben eine deutsche Gebärdensprache. Außerdem hat die Gebärdensprache auch noch eine eigene Grammatik.“ Es gäbe eine Gehörlosen-Welt und eine hörende Welt — „ich bin in beiden zu Hause“, sagt Söhn und fügt hinzu: „Ich glaube nicht, dass gehörlose Menschen immer von hörenden abhängig sein müssen. Ich möchte ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbst-Organisation fördern.“