Groß-Demo und Philadelphiade vor 25 Jahren: Brutaler Protest gegen Bush und Raketen
Krefeld wurde weltweit bekannt, als Demonstranten beim Besuch des US-Vizepräsidenten gewaltätig wurden.
Krefeld. Es sollte ein großes Fest für alle Krefelder werden - das Gedenken an die 13 Krefelder Familien, die im Juni 1683 dem Ruf des englischen Quäkers William Penn gefolgt waren, um in dessen Waldungen an der Delaware-Mündung ("Pennsylvanien") ein besseres, friedliches Leben zu führen.
Doch nicht die Konfetti-Parade mit Indianern und Muppet Show in der Innenstadt mit über 100 000 Besuchern, die gegenseitigen Freundschaftsbekundungen des noch amtsfrischen Bundeskanzlers Helmut Kohl und des amerikanischen Vizepräsidenten George Bush (Vater des George W. Bush) vor 900 ausgesuchten Gästen im Seidenweberhaus sorgten für die weltweiten Schlagzeilen, die Krefeld am Samstag, 25. Juni 1983, machte.
Vielmehr waren es die rund 700 Krawallmacher, die bis aus Berlin angereist waren und sich auf dem Südwall zwischen Lewerentz- und Gerberstraße mit Steinen, Feuerwerkskörpern und Rohren eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten. Den Beamten gelang es zwar, den Marsch der Chaoten durch Hochstraße oder Breite Straße zum Seidenweberhaus zu stoppen.
Aber nach dem Festakt passierte, was der damalige Ministerpräsident Johannes Rau später eine "polizeiliche Panne" nannte: Der Fahrzeugkonvoi mit Bush, Kohl, Bundespräsident Karl Carstens und vielen anderen hochkarätigen Gästen wurde vor dem Bahnhof einer übrig gebliebenen kleinen Gruppe militanter Demonstranten regelrecht vorgeführt. Es wäre auch eine andere Route zum Parkhotel Krefelder Hof in Frage gekommen.
Die Vorkolonne konnte unbeschadet vom Ostwall auf die Hansastraße abbiegen. Doch dann flogen auf dem Ostwall wieder Steine, Erdklumpen und eine Bierflasche. Vier Autos wurden leicht beschädigt. Auch das Fahrzeug, in dem George Bush saß, bekam einen Kratzer ab. Das war es, was für Schlagzeilen sorgte - bis ins Reich der Mitte und mitten nach Afrika.
Die chinesische Nachrichtenagentur Xinghua und "Sudan News" in Khartoum berichteten recht ausführlich über den "Anschlag auf Bush" und die Krawalle. 138 Personen wurden an diesem Tag festgenommen (darunter nicht ein Krefelder), 43 Polizisten zum Teil schwer verletzt.
Beim Bier im stadtnahen Hotel (übrigens ein Wunsch der Amerikaner) meinten amerikanische Sicherheitskräfte zu einem deutschen Polizeibeamten: "War doch nicht so schlimm. Das ist in den USA unser Alltag." Was sie allerdings noch nicht erlebt hatten bei vergleichbaren Anlässen, war der zweimalige Stromausfall während des Festaktes in Krefelds fensterloser "guter Stube".
NRW-Finanzminister Diether Posser wurde eine Taschenlampe gereicht, damit er in deren Schein sein Manuskript lesen und seine Rede fortsetzen konnte. Anfangs hieß es: "Überlastung des Stromnetzes", später ermittelte das Landeskriminalamt - ohne Ergebnis. Der Hauptschutzschalter im Seidenweberhaus hat sich nicht selbst umgelegt. Der Saboteur - ein Angesteller des Hauses? Die Polizei hatte die Technikzentrale angeblich streng bewacht.
Die Landes- und Bundespolitik dagegen hatte ein sommerlochfüllendes Thema.
Kohl schimpfte in Bonn über die "Krefelder Krawalle", und aus der CSU-Zentrale in München drang der laute Ruf nach Einschränkung der Versammlungsfreiheit, nach dem Rücktritt von NRW-Innenminister Schnoor.
Dann kam heraus, dass der Berliner Verfassungsschutz (Innensenator war der CDU-Politiker Lummer) einen Mann an die vorderste Front der Chaoten geschickt hatte: Peter T. (damals 25). Deckname der Aktion: "Der Wanderer". T. geriet anfangs in den Fokus der Ermittler, weil er selbst Steine geworfen haben sollte. Ein Wuppertaler Polizist entlastete ihn später. T. lag mit einer Kopfverletzung auf dem Südwall. Er war offenbar in einen Polizeiknüppel gelaufen, nachdem ihn ein Bielefelder SEK-Mann "entmummt’"’ hatte.
Festgenommen wurde Peter T. aber erst Tage später beim Grenzübertritt bei Aachen. Ein anderer Demonstrant, der eine ähnliche Jacke trug, war in der Hitze des Südwall-Gefechtes mit dem V-Mann verwechselt worden. Die Verwicklung des CDU-Innensenators in die "Krefelder Krawalle" gab wiederum der SPD Zündstoff. Die "Steinewerfer-Prozesse" begannen Mitte November 1983. Im Landgericht wurde eigens ein Buttersäure-resistenter Boden verlegt, da man mit Störungen von Sympathisanten rechnete. Der V-Mann T. war am 18. September 1983 aus der Haft entlassen worden.
Krefelds Pech, dass der Jahrestag der Auswanderung der 33 Krefelder nach Amerika genau in eine aufgeheizte Phase des Kalten Krieges fiel. US-Präsident Ronald Reagan hatte den Nato-Doppelbeschluss für die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Europa durchgesetzt. 1982 fand die erste große Friedensdemo in Bonn statt.Und auch am 25. Juni 1983, als der Stein am Bush-Auto kratzte, demonstrierten zwei Kilometer entfernt auf dem Sprödentalplatz 30 000 Menschen friedlich und unterstützten den "Krefelder Appell" zur weltweiten Abrüstung.
Joseph Beuys sprach zu seinen "Schwestern und Brüdern", die Grünen-Vorsitzende Petra Kelly und General Gert Bastian waren da, Uta Ranke-Heinemann warnte vor den Folgen eines nuklearen Schlages.Zuvor hatten sich 6000 Menschen einem Friedensmarsch durch die Stadt angeschlossen.
Unter Glockengeläut heulten Sirenen, ertönte das Pfeifen herabstürzender Bomben, waren Detonationen zu hören. Stille und eine Stimme: "Diesen Angriff hat keiner überlebt. Über 200 000 Krefelder sind tot." Es folgte das Lied der internationalen Friedensbewegung: "We Shall Overcome".