Glaskunst Krefelder Ehepaar entdeckt Schatz in alten Umzugskisten

Die Sammlung des Mustermachers und Bijoutiers Franz Josef Ginzel erzählt von der Glanzzeit der Gablonzer Glasindustrie.

Foto: Sven Bauer

Krefeld. Heutzutage noch einen unbekannten Schatz zu heben ist eher unwahrscheinlich. Und dennoch — Susanne und Franz Ginzel ist das vor fünf Jahren gelungen. Gerade erst im Ruhestand machte der Krefelder eine der vier Kisten auf, die seit Jahrzehnten in Familienbesitz jeden Umzug mitgemacht hatten. „Mir fielen bündelweise fein säuberlich in Papier eingepackte Perlenstränge und Preziosen entgegen“, erinnert sich Franz Ginzel. Mit jedem neuen Griff in die Kisten wurden sie mehr — und immer schöner.

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Was der 68-Jährige in diesen Tagen Stück für Stück ans Tageslicht beförderte, war die kostbare Sammlung seines Onkels Franz Josef Ginzel (1898-1960). Der war gelernter Perlen- und Knopfmustermacher im nordböhmischen Gablonz an der Neiße, der einstigen Hochburg der Glaskurzwarenproduktion, und sehr erfolgreich im internationalen Glaswaren-Exportgeschäft verantwortlich tätig gewesen.

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Kollektionen handgefertigter Schmuckstücke, Perlen, Musterbücher und internationale Geschäftskorrespondenz hatte er fein säuberlich in Kisten eingepackt und gerettet, als er 1948 mit der Familie seine Heimat endgültig verlassen musste.

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„Was machen wir damit?“, war die erste Frage der Eheleute Ginzel, als sie den Inhalt der Kisten gesichtet hatten. Auf dem Trödelmarkt wollten sie die Stücke nicht einzeln verramschen. Andererseits waren viele der Ketten längst durchgescheuert.

Das Ehepaar holte sich fachmännischen Rat, sprach kurzerhand mit ein paar schlechten Fotografien in der Hand im bayerischen Staatlichen Glasmuseum Frauenau vor. Das Museum und die Gegend kennen sie seit vielen Jahrzehnten aus familiärer Verbundenheit. Welchen Schatz die Ginzel hüten, sei der Museumsleiterin Karin Rühl erst im Laufe weiterer Treffen klar geworden, erinnern sich die Eheleute im Gespräch.

Das Museum in Frauenau bietet dem Besucher eine anschauliche Reise durch die Entwicklung des Glases. Es verfügt neben einer umfangreichen Abteilung mit modernem Glas unter anderem über die Schnupftabakgläser aus der Sammlung Schäfer und eine Sammlung internationaler Hinterglasmalerei. Der vollständige Nachlass des Gablonzer Mustermachers Franz Josef Ginzel als Dauerleihgabe ist nun das i-Tüpfelchen.

Doch bis es soweit war, lag noch viel Arbeit vor Susanne und Franz Ginzel. Sie erstellten als ambitionierte Autodidakten ein Ausstellungskonzept für die zur Verfügung gestellten sechs Vitrinen und drei Schaukästen, fuhren in einem Jahr allein dreimal dort hin, um vor Ort alles zu besprechen und im Laufe der Zeit die Vitrinen selbst auszustatten und zu bestücken.

Um alleine die vielfältigen internationalen Geschäftsbeziehungen zu visualisieren, zog Susanne Ginzel eine Weltkarte auf, an deren Enden in Höhe der entsprechenden Städte wie New York, Kapstadt oder Kalkutta die jeweiligen Briefköpfe der Geschäftspartner und die dafür gefertigten Schmuckstücke liegen. „Das hat uns richtig Spaß gemacht.“

Welche Bedeutung diese Sammlung tatsächlich hat, wurde den Eheleute bei der Eröffnung der Ausstellung unter dem Namen „Schmuckes Glas“ erst in Gänze klar. „Aus der früheren Heimat unserer Familie war vom dortigen Glas- und Bijouteriemuseum unter anderem Dr. Petr Novy angereist“, erzählt Franz Ginzel. Der Fachmann führte die Gäste mit einer laut Ginzels beeindruckenden Rede in die Welt der Gablonzer Bijouterie ein. Die genoss wegen ihrer Lieferungen an Glasschmuck Weltruf und erzielte in ihrer Glanzzeit nach dem Ersten Weltkrieg 1918 ein Jahresexportvolumen im Durchschnitt von 1,8 Milliarden Kronen. Die Anbindung an das Deutsche Reich im Jahr 1938 sorgte für den Untergang. Reichskanzler Adolf Hitler verachtete die Bijouterie. Wegen des internationalen Handelsembargos war Schmuck aus Gablonz nicht mehr gefragt.

Dass dennoch die einzigartige Sammlung mit Perlen- und Knopfmustern, Ketten, Gürtelschließen, Ringen, Broschen, Täschchen und gläsernen Lampenbordüren aus den 20er und 30er Jahren gerettet wurden, ist Franz Josef Ginzel und der Familie seines Neffen zu verdanken. „Er würde sich darüber freuen“, sagt Franz Ginzel. Die Wertschätzung seiner Kunstfertigkeit hat er nicht mehr miterlebt. Franz Josef Ginzel starb nach der Vertreibung 1960 in Krefeld.