Stereoskope: Als die halbe Welt durch die Brille aus Blech blickte
Der Krefelder Peter Wagner hat sich auf ein seltenes Sammelgebiet spezialisiert: Auf Stereoskope, die erstmals 1896 als Werbeträger Verwendung fanden.
Krefeld. Das kleine Ding faszinierte Queen Victoria 1851 auf der Weltausstellung in London: Der vom Physiker David Brewster entwickelte Guckkasten mit zwei Halblinsen und einer vor den Augen des Betrachters angeordneten Bildvorlage: Das erste 3D-Erlebnis für die breite Öffentlichkeit war geboren, nur 16 Jahre nach der Erfindung der Fotografie. 1854 bewarb die „London Stereoscopic Company“ ihr neues Produkt mit dem griffigen Slogan „No home without a stereoscope“ (Kein Haus ohne Stereoskop).
Doch noch über 40 Jahre sollte es dauern, bis Unternehmen das immer kleiner gewordene Ding, erst als Holz, dann aus Pappe oder Papier, schließlich aus Blech, als Reklamemittel entdeckten. Vor allem die Hersteller von Luxusartikeln griffen darauf zurück: für Tabakwaren, Schokolade und Fortbewegungsmittel, wie die Bielefelder Dürkopp-Werke.
Genau auf diese Werbemittel aus der Zeit zwischen 1896 und Anfang der 1960er Jahre hat sich der Bockumer Pensionär Peter Wagner spezialisiert. Mit nur gut 60 kleinen Blech-, Papp- und Bakelit-Brillen und entsprechenden Fotos aus der damals noch großen und weiten Welt gehört er zu den größeren Sammlern auf diesem Gebiet. Die Literatur über die Anfänge der dreidimensionalen Betrachtungsgeräte ist ebenfalls selten.
Möglicherweise der erste deutsche Unternehmer, die die Stereobrillen, damals noch aus Papier, zur Werbung benutzten, war 1896 der Leipziger Otto Pahley — ein „optisches und mechanisches Institut“, das aber auch Pfaff-Nähmaschinen reparierte. Die Brillen, durch die einst die halbe Welt schaute, sind rar geworden, selbst im Nürnberger Blechspielzeugmuseum ist kaum etwas zu finden — das meiste wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört.
Aber dank Internet sind Stereoskope selbst am anderen Ende der Welt aufzustöbern. Mindestens 32 000 Kilometer Reise in seinem etwa 110-jährigen Dasein hat das genial konstruierte Modell „Cecilie“ des englischen Zigarettenherstellers W.D.&H.O. Wills aus Bristol hinter sich: Peter Wagner entdeckte das ausklappbare Betrachtungsgerät bei einem australischen Anbieter. „Ich hatte vorher noch noch eine Überweisung nach Übersee getätigt. Aber alles hat bestens geklappt.“ Das besondere Geniale an dem Teil: Der Augenabstand zu den beiden Stereobildchen ist verschiebbar, lässt sich so auf das Sehvermögen des Betrachters einstellen. Und: Das auf dem fünften Kontinent entdeckte „Rotoscope“ funktioniert noch tadellos.
Vergangene Woche hat Wagner interessiert die Versteigerung eines Schwestermodells der Zigarettenfabrik Wills im Internet verfolgt: Für 350 Euro ging das Blechteil im Notizbuch-Format weg. Wagner: „Soviel habe ich nicht bezahlt. Aber die Preise für stereoskopische Werbeträger steigen rasant.“ Ob das mit der 3D-Renaissance zu tun hat? Zahlreiche Film-Hits wie Titanic oder Men in Black kommen in diesem Jahr in dreidimensionaler Variante in die Kinos.
Ohne die damalige „Neue Photographische Gesellschaft“ in Berlin-Steglitz hätte die Brille aus Blech vor 100 Jahren allerdings nicht ihren Siegeszug um die halbe Welt angetreten. Denn die sandte überall in der Welt ihre Fotografen aus, die fremde Menschen, Tiere und Landschaften einfingen. Die Objekte, festgehalten von Kameras mit zwei waagerecht versetzten Linsen, kamen als kleine Bilder auf den Markt, die die Schokoladenhersteller Suchard und Stollwerck beispielsweise ihren Automaten-Packungen beilegten. Sammler Wagner: „Für die Massenproduktion mussten die Brillen natürlich so billig wie möglich sein.“ Meist wurden sie für ein paar Pfennige im Einzelhandel angeboten. Eine wenige dienten zugleich auch als Verpackung.
Dass sich Peter Wagner jetzt auf die kleinen Blechbrillen konzentriert, erfreut seine Frau Brigitte: „Dachboden und Keller sind inzwischen gerammelt voll. Da geht kaum noch was ’rein“. Die Sammelleidenschaft ihres Mannes ist mit einiger Arbeit verbunden. Irgendwo oben unterm Dach schlummert die Sammlung der „aufblasbaren Werbung“ — wie die einst an den Stränden Deutschlands verbreiteten dunkelblauen Nivea-Bälle. Runde, ovale und bananenförmige Werbeballons müssen einmal im Jahr aufgeblasen und danach wieder ordentlich zusammengefaltet werden. Ein wenig fühlt sich der ehemalige Justizbedienstete „wie ein Jäger und Beerensammler“ aus ganz frühen Zeiten.