Analyse: Stress als Motiv für Mircos Tötung
Mönchengladbach (dpa) - Er war der unauffällige, treu sorgende Vater von drei Kindern, hart arbeitend, beruflich unter Druck. Niemand ahnte, was Soko-Chef Ingo Thiel heute weiß: „Da war eine tickende Zeitbombe unterwegs“.
Olaf H. (45), Bereichsleiter eines Bonner Telekommunikations-Konzerns, nicht vorbestraft, hatte mal wieder viel Stress, war von seinem Chef „zusammengefaltet“ worden. Da beschloss der dreifache Vater, auf Menschenjagd zu gehen, um sich abzureagieren.
Er sucht ein Ventil, ein möglichst wehrloses Opfer. Ziellos streift er in seinem Dienstwagen umher. Plötzlich fährt vor ihm in der Dunkelheit ein kleiner Junge - Mirco aus Grefrath. Er überholt, hält und wartet.
Es gibt keine Hinweise darauf, dass Olaf H. pädophil oder sadistisch veranlagt ist. Es sei ihm eher um Macht gegangen, darum, „über jemanden die Kontrolle auszuüben - bis zur Tötung“, sagt Soko-Chef Thiel am Freitag in Mönchengladbach. „Die sexuelle Komponente hat eine untergeordnete Rolle gespielt.“
Nun sitzt der 45-Jährige in Untersuchungshaft wegen Mordes, Entführung und sexuellen Kindesmissbrauchs. Er hat ein umfassendes Geständnis abgelegt, die Ermittler zu Mircos Leiche in einem Waldstück außerhalb des Suchgebiets geführt und wird zusätzlich von DNA- und Faserspuren belastet. Die Obduktion der Kinderleiche, die fast fünf Monate nicht vergraben im Wald lag, dauert an.
Schweigend begleitet Olaf H. die Ermittler, als sie ihn am Mittwoch um 06.00 Uhr morgens aus dem Bett holen. Seine Familie, völlig nichtsahnend, ist schockiert. Sie lebte mit ihm in Schwalmtal-Ungerath. Der nette, unauffällige Nachbar - so hatten auch die Täter-Spezialisten der Polizei Mircos mutmaßlichen Mörder beschrieben.
Olaf H. war sogar derart unauffällig, dass er nicht einmal seinem misstrauischen Nachbarn verdächtig erschien, der immerhin Polizist ist und selbst nach Mirco suchte: „Da hätte ich nie dran gedacht.“
„Wie soll der Kollege das merken, wenn es nicht mal die Ehefrau des Täters merkt?“, sagt Thiel. „Ich wohne auch in der Nähe.“ Fast 150 Tage hat die Soko Olaf H. gejagt, bis sie ihn hatte. Sein Dienstwagen war schon auf dem Weg nach Russland, weil der Leasingvertrag ausgelaufen war. In Frankfurt spürten die Ermittler den zwischenzeitlich abgemeldeten Wagen auf und fanden ein Faserprofil, das passt.
Aber Olaf H. war schon vorher mittels neuer technischer Ermittlungsmethoden ins Visier der Ermittler geraten. Über diese Möglichkeiten schweigen sich die Ermittler lieber aus - „weil Mirco leider nicht der letzte Fall dieser Art bleiben wird“. Nur eines: „Wir haben ein paar Mausefallen aufgestellt - einige haben zugeschnappt.“
„Wir kriegen ihn“, hatte Thiel immer beteuert. „Wir haben ihn“, sagt er am Freitag. Er sei „sehr erleichtert“. „Wir haben Mircos Eltern versprochen, ihren Jungen zurückzubringen. Das haben wir geschafft.“