Politik Bundestag steht vor einem Generationenwechsel

Berlin. Bei jeder Bundestagswahl hören altgediente Parlamentarier auf, doch 2017 wird ein Einschnitt. Einen derartigen Aderlass hat die Volksvertretung selten erlebt. Viele Prominente verzichten auf eine erneute Kandidatur, auch viele Experten aus der zweiten Reihe.

Talkshow-König Wolfgang Bosbach war langjähriger Vorsitzender des Innen-Ausschusses.

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Manche werden auch nicht wieder nominiert. Eine ganze Generation geht. Hier ein Überblick.

Bei der Union war Michael Fuchs (67) so etwas wie das Urgestein der Mittelstandspolitik. Zuletzt handelte er mit SPD und Grünen noch eine gemeinsame Lösung für die Altlasten der Kernenergie aus.

Ähnliches Gewicht hatte in der Innenpolitik immer Wolfgang Bosbach (64), langjähriger Vorsitzender des Innen-Ausschusses und Talkshow-König. Johannes Singhammer (63), Ober-Gesundheitspolitiker der CSU, ist ebenfalls ein fachliches Groß-Kaliber, genau wie Hartmut Koschyk (57), Ex-Finanzstaatssekretär und Aussiedlerbeauftragter. Clemens Binninger (54) hatte sich in den letzten Jahren bei der Aufarbeitung des NSU-Komplexes und als Geheimdienstexperte einen Namen gemacht. Erika Steinbach (73), langjährige Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, galt als scharfe Kritikerin der Merkelschen Flüchtlingspolitik.

Versteckter agierte Franz-Josef Holzenkamp (56), der seit zwölf Jahren den Wahlkreis Vechta/Cloppenburg vertrat, und deshalb der Mister Massentierhaltung des Bundestages war. Dagmar Wöhrl (62), einstige Miss Bundestag, hatte zuletzt keine große Bedeutung mehr. Die Union verliert überdies auch etliche Spitzenpolitiker.

Franz Josef Jung (67) war Verteidigungsminister, Arbeitsminister, zuletzt außenpolitischer Sprecher. Norbert Lammert (68) wäre Bundespräsident geworden, wenn er nicht wegen seiner Familie endgültig verzichtet hätte. Bei Heinz Riesenhuber (81), den mit der Fliege, hätte es wieder zum Alterspräsidenten des Bundestages gereicht. Auf diesem Posten ist die Not jetzt groß; es gibt die Sorge, dass Alexander Gauland (75), der für die AfD kandidiert, der Älteste sein könnte, der dann im kommenden Herbst die Eröffnungsrede des neuen Bundestages zu halten hätte.

Um das zu verhindern, drängten viele den Grünen Christian Ströbele (77) zu einer erneuten Kandidatur, doch der will nun endgültig nicht mehr. Gerda Hasselfeldt (66), Chefin der CSU-Landesgruppe, verstärkt den hochrangigen Pensionierungsreigen der Union. Ex-Familienministerin Kristina Schröder (39) und Gatte Ole Schröder (45), Innenstaatssekretär, sind ein anderer Fall.

Sie wollen noch etwas anderes machen. Bei der SPD hat Peer Steinbrück (69) sein Mandat schon niedergelegt, Frank-Walter Steinmeier (60) wird es im Februar tun, wenn er Bundespräsident wird. Aber auch der langjährige Chef-Außenpolitiker Gernot Erler (72) verzichtet auf eine erneute Kandidatur, so dass die Partei auf diesem Feld gleich zwei ihrer Besten verliert.

Zumal der prominente Verteidigungspolitiker Rainer Arnold (66) ebenfalls nicht wieder kommt. Edelgard Bulmahn (65), Ex-Bildungsministerin, war ohnehin ein eher sinkender Stern am SPD-Himmel, ebenso Brigitte Zypries (63), die frühere Justizministerin. Ein Urgestein, vergleichbar mit Fuchs bei der Union, ist der Finanzpolitiker Joachim Poß (68), der seit 36 Jahren den Wahlkreis Gelsenkirchen hielt.

Für Elke Ferner (58), Saarländerin und zuletzt Staatssekretärin, gilt in Bezug auf Frauenfragen ganz Ähnliches. Ebenso für Klaus Barthel (61), Chef der SPD-Arbeitnehmerorganisation AfA. Der linke Flügel der Partei verliert hier zwei sozialpolitisch herausgehobene Persönlichkeiten. Dass der Innenpolitiker Michael Hartmann (53) nach seiner Chrystal-Meth-Affäre nicht wieder kandidieren würde, war hingegen absehbar.

Bei den Grünen hatte Volker Beck (56), ebenfalls Innenpolitiker, ebenfalls Chrystal Meth-Affäre, noch um eine erneute Aufstellung gekämpft, aber verloren. Marieluise Beck (64), Mitbegründerin der Partei und kämpferische Menschenrechtlerin, tritt nicht wieder an, genauso wenig wie Tom Koenigs (72), der in Sachen Menschenrechte eine ganz ähnliche Bedeutung hat. Die Grünen verlieren hier also gleich drei Autoritäten und mit der früheren nordrhein-westfälischen Umweltministerin Bärbel Höhn (64) auch noch ihre prominenteste Umweltpolitikerin.

Auch die Sozialexpertin Brigitte Pothmer (61) tritt nicht wieder an. Fachlichen Substanzverlust gibt es auch bei den Linken. Jan van Aken (55, Verteidigungspolitik) und Eva Bulling-Schröter (60, Energie) hatten sich über die Grenzen ihrer Fraktion hinaus einen guten Ruf erworben. So ist der Lauf der Dinge. Andere Abgeordnete werden auf die frei gewordenen Positionen nachrücken, viele haben schon darauf gewartet. Und neue Abgeordnete werden sich schnell hocharbeiten. Alles normal. Im Bundestag ist Mitleid keine Kategorie. Manchmal aber ein bisschen Wehmut.