Bundestagswahl 2017 Warum Angela Merkel die Wahl doch noch verlieren kann
Trotz großen Vorsprungs der Union auf die SPD ist das Rennen um die Kanzlerschaft noch nicht gelaufen - meint der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Ein Interview.
Berlin. Eineinhalb Monate vor der Bundestagswahl liegt die SPD in den aktuellen Meinungsumfragen zwischen zwölf und 18 Prozentpunkte hinter der Union. Ist das Rennen schon gelaufen? Darüber sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter mit dem Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
Herr Korte, darf sich Angela Merkel bereits als Wahlsiegerin betrachten?
Korte: Nein, die Wahl ist noch nicht entschieden. Etwa jeder dritte Wähler hat sich noch nicht festgelegt. Wir sehen doch gerade in den letzten Tagen und Wochen, wie schnell sich Problemlagen verändern können. Die Einstellung zum Linksradikalismus im Zuge des G-20-Gipfels, Diesel-Gate, der Eier-Skandal, die Ereignisse in Niedersachsen — es gibt Krisenmomente, die die Einstellung breiter Teile der Wahlbevölkerung sozusagen auch noch in letzter Minute verändern können.
Aber SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kommt einfach nicht mehr in die Offensive. Woran liegt das?
Die Offensive müsste mit einem Gestaltungsziel verbunden sein, über das breit diskutiert wird. Ich sehe dieses Alleinstellungsmerkmal bei der SPD allerdings nicht. Mit ihrem Kernthema Gerechtigkeit kann sie sich kaum von der Union abgrenzen. Es geht ja auch stärker um Identitäts- und Sicherheitsfragen in diesem Jahr. Und da ist im Moment für viele nicht zu erkennen, was die SPD besser machen will als die Union.
Schulz hat jetzt mitgeteilt, dass er sich beim nächsten Parteitag auf jeden Fall wieder für den SPD-Vorsitz bewerben wolle. Ein kluger Schachzug?
Ja, das ist klug, denn es zeigt, dass er Verantwortung übernehmen will, für welches Wahlergebnis auch immer. Und denjenigen, die weiter eine große Koalition wollen, signalisiert Schulz, dass sie ihn auch dafür bekommen könnten. Das ist kein Nachteil für SPD-Wähler.
Angela Merkel scheint über allen Dingen zu schweben. Im Wahlkampf ist sie bislang überhaupt nicht präsent…
Genau das ist ihr bewährtes Rezept. Sie ist immer erklärungsarme Kanzlerpräsidentin gewesen. Zu Merkel haben viele Leute ein Grundvertrauen nach der Devise, die weiß, wann sie eingreifen muss und wann nicht. Merkel ist eine Orientierungs-Autorität.
Wem schaden die jüngsten Vorgänge in Niedersachen am meisten?
Eindeutig der SPD. Das ist für viele wieder ein Beleg für den Krisenmodus, in dem sich die Partei befindet. Sie stellt in Hannover den Ministerpräsidenten, umso stärker wiegt jetzt ihre Verantwortung für das negativ besetzte Image der Verbindung zwischen Autobranche und Politik. Die CDU dort hat den Vorteil, dass sie gerade in der Opposition ist. Sonst würde es ihr genauso gehen.
Die SPD in Niedersachsen ist aber auch zum Opfer des Übertritts einer Grünen-Politikerin zur CDU geworden. Zählt das gar nicht?
Nein. Man wählt keine Opfer, sondern Siegertypen. Opfer können einem leidtun, aber einen Sympathiebonus gibt es dafür nicht.
Was lässt der rot-grüne Machtverlust in Hannover für die Grünen erwarten?
Viele dürften sich bestätigt fühlen, dass die Grünen immer stärker auf eine schwarz-grüne Linie einschwenken. Dagegen kann sich die Partei nicht mehr wirklich stemmen, denn auch ihre beiden Spitzenkandidaten sind realo-mäßig unterwegs. Hinzu kommt die Kretschmann-Dominanz auf Landesebene. Es wäre deshalb ehrlicher, die Grünen würden jetzt klar sagen, ob man mit ihnen Merkel oder Schulz als Kanzler bekommt. Sich hier nicht festzulegen, könnte ihnen mehr schaden als nützen.
Hand aufs Herz, Herr Korte, welches Ereignis könnte Merkel am Ende doch noch um den sicher geglaubten Wahlsieg bringen?
Ich denke da an den groß angelegten Datenklau im Bundestag vor rund einem Jahr. Bis heute wissen wir nichts über die Brisanz des Materials, das Hacker damals erbeutet haben. Keine SMS, kein Mail ist davon bislang bekannt. Damit könnten wichtige Politiker noch persönlich diffamiert werden. Vor dem Bekanntwerden solcher Datenmanipulationen ist keine Partei gefeit.