NRW-Wahl Landtagswahl in NRW: Die Reaktionen aus Berlin
Berlin. So sehen Sieger aus. Daniel Günther, der Wahlgewinner von Schleswig-Holstein, kommt extra ins Berliner Konrad-Adenauer-Haus der CDU. Auch die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer ist da, die für die Union in diesem Jahr den Auftaktsieg bei der ersten der drei Landtagswahlen geholt hat.
Als um 18 Uhr die Prognosen über die Bildschirme flimmern, sind die beiden und einige andere Partei-Promis oben im Präsidiumszimmer, während unten im rappelvollen Foyer frenetischer Jubel ausbricht.
Die Union ist im Glückstaumel. Drei Wahlen, drei Siege - und davon jetzt auch einer ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen. „Vor ein paar Wochen hat damit noch niemand gerechnet“, erklärt einer von der Jungen Union. Damals rauschte der Schulz-Zug durchs Land, die CDU wirkte wie auf dem falschen Fuß erwischt. Und die Parteivorsitzende Angela Merkel konnte ihre Müdigkeit angesichts der heftigen Grabenkämpfe mit der Schwester CSU um die Flüchtlingspolitik nicht verbergen.
Jetzt ist alle vergessen. Die Parteizentrale platzt aus allen Nähten, auch die CDU-Promis kommen wieder gerne zum Feiern. „Das ist auch Merkels Sieg“, glaubt ein Christdemokrat. Acht Mal war die Kanzlerin im Schlussspurt des Wahlkampfes in NRW unterwegs. Aus dem Merkel-Malus scheint wieder der Merkel-Bonus geworden zu sein. Das finden jedenfalls viele im Konrad-Adenauer-Haus.
Bei den ersten Hochrechnungen liegen sich die Christdemokraten in den Armen, das Kölsch fließt in Strömen. Mitleid wird geheuchelt, als SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf den Bildschirmen zu sehen ist und ihren Rücktritt von allen SPD-Ämtern erklärt. „Die CDU hat die Herzkammer der SPD erobert“, jubeliert Generalsekretär Peter Tauber. „Wir haben auf die richtigen Themen gesetzt“ — und die waren vor allem landespolitisch geprägt. „Das ist ein toller Tag“, ruft Tauber. Sein Statement beendet der Oberleutnant der Reserve mit einem zackigen: „Hurra!“ Doch wie interpretiert man den Wahlausgang im bevölkerungsreichsten Bundesland jetzt mit Blick auf die Bundestagswahl? Bei „Westfälischer Brat-Currywurst“ und „Kartoffelpfanne“ hört man durchaus Stimmen, die meinen, der Urnengang im Bund wäre schon gelaufen. Doch die Parteioberen mahnen zur Vorsicht.
„Wir bleiben auf dem Boden“, betont Kanzleramtschef Peter Altmaier. „Drei Landtagswahlen machen auch in der Summe noch keine Bundestagswahl“, so Kramp-Karrenbauer zu unserer Redaktion. „Rückenwind“ verspüren alle. Der wohl künftige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, merkt noch an, dass der Schulz-Effekt in NRW gleich Null gewesen sei. „Das ist in einem Bundestagswahljahr eine gute Fügung“, so Günther auf Nachfrage. Nur kein Übermut, lautet also die Devise. Das gilt auch für die FDP. In Berlin bei der Wahlparty der Liberalen wird das zweistellige Ergebnis lautstark bejubelt. Die Aussicht auf eine schwarz-gelbe Koalition an Rhein und Ruhr hebt die Stimmung weiter. „Mit einem Comeback der FDP im Bund ist zu rechnen“, lässt der Vorsitzende Christian Lindner von Düsseldorf aus auch die Berliner Liberalen wissen. Möglich ist das. Aber sicher nicht. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.
Martin Schulz hat jetzt richtig Übung darin, „krachende Niederlagen“ einzugestehen. Das ist seine Wortwahl an diesem Sonntag. Erst Mal Gratulation an den Wahlsieger, im Falle Armin Laschets sogar „von Herzen“. Letzte Woche nach Schleswig-Holstein hieß das noch „Respekt für die Aufholjagd“. Dann sehr, sehr warmer Dank an den Verlierer, diesmal Hannelore Kraft, die „in der Niederlage eine Größe an den Tag gelegt an, vor der ich mich verneige“. Dann der Blick nach vorn. Der Mann kann Wehmut. Und Optimismus. Aber die Mienen der Mitglieder der Parteiführung hinter ihm sind ernster als vor einer Woche. Und die der vielen Mitglieder vor ihm auch.
Es gibt im Berliner Willy-Brandt-Haus nur einmal einen Beifall, der wirklich spontan und herzlich ist. Das ist, als Kraft im fernen Düsseldorf ihre Erklärung abgeschlossen hat. Es ist ein Beifall des Abschiedes und des Dankes. Einige rufen „Nein, nein, nicht das auch noch“, als Kraft ihren Rücktritt verkündet. Wie sie ohnehin viel stöhnen und die Hände über den Kopf zusammenschlagen.
Beim Blick nach vorn lassen mehrere Aussagen aufhorchen. Zum einen sagt Generalsekretärin Katarina Barley, dass jetzt „der Wahlkampf Angela Merkel gegen Martin Schulz“ beginne. Die SPD will die Kanzlerin endlich „stellen“, wie es intern heißt. Zum Beispiel, damit, ob 25 Milliarden Euro in die Aufrüstung fließen sollen oder in Familie und Bildung. „Jetzt geht es in die entscheidende Runde“, sagt auch Schulz. Was aber, wenn die Kanzlerin sich nicht stellen lässt und der Konfrontation ausweicht? Darüber will man Montagfrüh im Präsidium beraten, ebenso über die Frage, „was wir hier in Berlin ändern müssen“, wie der Kanzlerkandidat sagt. Es gibt inzwischen Vorwürfe gegen Schulz, vor allem, dass er sich zu rar gemacht habe.
„Zu wenig Präsenz und Inhalte“, wie es Karsten Mau formuliert, ein Berliner Genosse, der sich eigentlich auf eine Wahlparty gefreut hatte und nun eine Trauerveranstaltung erlebt. Doch Kraft erklärt in ihrer Stellungnahme öffentlich, dass sie selbst Schulz gebeten habe, sich in dieser Phase mit neuen Vorschlägen zurückzuhalten. Sie wollte einen landespolitischen Wahlkampf — und hat ihn bekommen. „Das war wohl ein Fehler“, sagt Mau trocken. Verändert wird erst einmal die bisherige Planung. Ursprünglich wollte die SPD an diesem Montag, mit einem Sieg im Rücken, Teile des Wahlprogrammentwurfs beraten und gleich der Öffentlichkeit präsentieren. Man wollte sozusagen Schlag auf Schlag weitermachen, atemlos im Erfolg. Das ging letzten Montag schon nicht auf, als Schulz nach der Schleswig-Holstein-Niederlage trotzdem noch wie angekündigt eine programmatische Rede zur Wirtschaftspolitik hielt, die weitgehend verpuffte.
Für die SPD ist es eher ein „Atemlos durch die Nacht“ geworden. Der Plan wird jetzt geändert. „Es gibt Redebedarf, wir werden Montag mit dem Programm wahrscheinlich nicht fertig werden“, lautet die offizielle Begründung. Die Pressekonferenz wird wohl verschoben. Was hilft nach solchen Niederlagen? Sprachliche Mutmacher. Ralf Stegner wird oft zitiert, auch von Martin Schulz. Der stellvertretende Parteivorsitzende sagt schon um 18.05 Uhr, im ersten Nachwahl-Interview des Tages überhaupt, dass der Boxer einen Leberhaken bekommen habe. „Aber er steht noch“, fügt Stegner hinzu. Noch.
Auch bei der AfD überwiegt am Wahlabend das Positive, obwohl die Bäume für sie nicht gerade in den Himmel gewachsen sind. In den Umfragen waren die Rechten in NRW zuletzt auf nur sechs Prozent taxiert worden. Nun sind es vielleicht ein oder zwei Prozentpunkte mehr, und die Partei zieht aus dem Stand in das 13. Landesparlament ein. Ein ganz persönlicher Erfolg auch für AfD-Spitzenkandidat Marcus Pretzell, der mit der umstrittenen Bundesvorsitzenden Frauke Petry verheiratet ist. „Wir kämpfen für ein noch besseres Ergebnis bei der Bundestagswahl“, sagt Petry.
Der kleine Saal in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen ist proppenvoll, als die Uhr auf 18 Uhr zugeht. Eine Parteigängerin nimmt es mit Galgenhumor: „Da kann man mehr traurige Gesichter im Fernsehen sehen“. Und in der Tat fangen die Kameraleute im nächsten Moment eine zutiefst gedrückte Stimmung ein.
Das Wahlergebnis von 2012 nahezu halbiert, die Koalition mit der SPD futsch, nur das ganz große Debakel ist ausgeblieben: Die Grünen haben es gerade noch einmal so in den Düsseldorfer Landtag geschafft. „Viel mehr an Positivem ist nicht zu verkünden“, wird Partei-Chef Cem Özdemir später sagen. Dabei hatte es der Trend mit den Grünen zuletzt eigentlich gut gemeint. Vor einer Woche in Schleswig-Holstein fast 13 Prozent geholt — das sei das „Ende des Abgesangs auf die Grünen“, freute sich der dortige Spitzenkandidat Robert Habeck.
Denkste! Nun sind die alten Gespenster wieder da: Schwaches Führungspersonal, wenig attraktive Inhalte und vom Ziel, bei der Bundestagswahl zweistellig zu werden, wieder Lichtjahre entfernt. Dicke Luft im Saal und bei der Partei. Kein Wunder, dass die grüne Fangemeinde jetzt ein bisschen wie paralysiert wirkt. Auch Ska Keller hat sich unter das überwiegend junge Parteivolk gemischt. Normalerweise ist die grüne Europaabgeordnete um keine Antwort verlegen.
Jetzt winkt sie ab. Das Wahlergebnis müsse die Bundespitze bewerten. Als Özdemir schließlich aufs Podium kommt, hat er Fraktionschef Toni Hofreiter und Bundesgeschäftsführer Michael Kellner mit im Schlepptau. Wir gewinnen zusammen, und wir verlieren zusammen, soll das wohl heißen. Özdemir will „nichts schön reden“. Die „Niederlage“ müsse man „mit Demut akzeptieren“. Offenkundig sei es den Grünen in Nordrhein-Westfalen „nicht gelungen, das Klischee als Wirtschaftsverhinderer abzustreifen“, analysiert Özdemir. Nun gelte es für den Bund, „den Kurs der Eigenständigkeit fortzusetzen“, sagt er, und klingt dabei ziemlich ratlos.
Bei den Linken herrscht dagegen viel Freude. Rote Fahnen werden geschwenkt, und die Leute liegen sich in den Armen, als die ersten Prognosen aufscheinen. Fünf Prozent für die Partei, womöglich auch knapp darunter. Das ist ein Zitterpartie, aber eben auch ungefähr eine Verdoppelung des Wahlergebnisses im Vergleich zum Jahr 2012. Diese Botschaft verkündet die Parteiführung vor allen Mikrofonen. „Der Balken geht nach oben“, freut sich Bernd Riexinger. „Das gibt uns Schwung für die Bundestagswahl“, assistiert die Co-Vorsitzende Katja Kipping. Die Strategie von SPD-Regierungschefin Hannelore Kraft, die Linke „auszugrenzen“, habe sich nicht ausgezahlt.