Frauen-WM 2015 Einen Tick besser als die Amis

Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft ist in Kanada an einem Punkt angelangt, an dem sie eigentlich nur noch gewinnen kann / Halbfinale gegen die USA ist das nächste vorweggenommene Finale

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Es gibt eine Menge Gewohnheiten bei der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, die durchaus zum Schmunzeln animieren. Beispielsweise ist es an Spieltagen ein Brauch, dass Koch Hannes Flade die seit jeher verlangte Leibspeise Pfannkuchen zubereitet. Erlaubt ist, was stark macht. Und endgültig ulkig wird es, wer in Montreal vor einem Match den ebenfalls obligatorischen Spaziergang mit Ball verfolgt. Grünflächen am vielbefahrenen Boulevard René Levesque gibt es in der näheren Umgebung nicht so viele, weshalb der kurze Fußweg aus dem Teamhotel in den Square Dorchester ausreichen muss. Ein Mini-Park mit einem Reiter-Denkmal, das an die gefallenen Kanadier in der Schlacht von Paardeberg im Burenkrieg in Südafrika erinnert. Dazwischen schießen Skater im freien Oberkörper über die Wege, erholen sich Rentner auf den Holzbänken, stillen Mütter auf einer Wiese ihre Kleinkinder. Und mittendrin auf leicht abschüssigen Rasenflächen pflegen deutsche Fußballerinnen ihr beliebtes Kreisspiel. Vielleicht gar nicht so ideal. Dennoch wird an solchen Ritualen bei dieser Frauen-WM nicht gerüttelt. Jetzt erst recht nicht mehr.

Halbfinale gegen die US-Girls

Wenn nun der Halbfinal-Schlager gegen die USA (Mittwoch 1 Uhr MESZ) ansteht, dann wird sich das Prozedere genauso wiederholen. Denn nach dem Viertelfinal-Drama gegen Frankreich (5:4 n.E, 1:1 n.V.) ist der zweifache Weltmeister Deutschland endgültig an einem Punkt angelangt, an dem er nur noch gewinnen kann. „Wir wussten doch nach der Auslosung, welch schwerer Weg uns erwarten würde“, sagt Silvia Neid, die intern immer von der Runde der letzten Acht als entscheidendes Nadelöhr gesprochen hatte. Dass sich ihr Team da durchgequält hat, macht die Bundestrainerin stolz. „Unter den besten vier Teams der Welt zu stehen, tut uns gut“, sagt die 51-Jährige, „vielleicht geht noch was.“ Gleichwohl: Der Kraftakt lässt sich im Klassiker gegen die von der DFB-Auswahl bei einer WM zuletzt 2003 im eigenen Land besiegten US-Girls nicht auf Knopfdruck wiederholen. „Wir können sehr viel besser spielen“, räumt die Trainerin ein. Wohlwissend, dass das amerikanische Team zu einem Kombinationswirbel französischer Prägung nicht in der Lage ist. Jedoch zu Powerfußball über 90 oder notfalls auch wieder 120 Minuten im Betonmonstrum des Olympiastadions von Montreal. „Spielerisch war Frankreich definitiv der größte Brocken. Aber die USA sind athletisch top, die rennen ohne Ende und wollen unbedingt Weltmeister werden“, meint Melanie Behringer.

Das gegenseitige Vertrauen ist hoch

Die Kapitänin vom Meister FC Bayern begleitet die Trainerin Neid seit dem Juniorenalter, das gegenseitige Vertrauen ist hoch. Wie selbstverständlich hatte sich die 29-Jährige auch deshalb vor dem Elfmeterschießen am Freitag zusammen mit Simone Laudehr, Babett Peter und der seit Samstag 27-jährigen Celia Sasic („Wollte definitiv nicht im Flieger meinen Geburtstag feiern“) sofort für den Penalty-Showdown gemeldet. Behringer: „Ich wollte gleich den ersten schießen, ich hatte ein gutes Gefühl.“ Was freilich nicht für alle galt.

Trotz Bänderdehnung Zähne zusammenbeißen

Neids Fahndung über diese Quartett Freiwillige hinaus lief nämlich ins Leere. „Einige haben betreten auf den Boden geschaut.“ Es bedurfte schon des Geistesblitzes von Lena Goeßling („Wir haben doch noch die Maro!“), um an die mit schmerzverzerrtem Gesicht an der Strafraumkante kauernde Dzsenifer Marozsan zu erinnern. Die erwiesenermaßen beste Fußballerin war beim allerletzten Schussversuch auf dem Plastikgras mit dem bereits lädierten linken Fuß umgeknickt. Goeßling lief zu ihr hin, fragte nach und übermittelte: „Ja, ja, die kann.“ Dass die 23-Jährige nach kurzem Anlauf wie selbstverständlich verwandelte, ging später in der internen Betrachtung noch vor der Elfmeterparade von Kapitänin Nadine Angerer als Szene des Spiels durch. „Ich konnte ja auftreten“, berichtete die oft grüblerisch veranlagte Spielermacherin. Und morgen will Marozsan trotz ihrer Bänderdehnung noch einmal auf die Zähne beißen. Wie sagte die nervenstarke Verteidigerin Peter („Als wir das Elfmeterschießen erreicht hatten, wusste ich, dass wir gewinnen“) als verlässliche Vertreterin der gesperrten Saskia Bartusiak am Tag danach: „Es tut einem fast alles weh. Aber es hilft nichts, wir müssen fit werden und einen Tick besser sein als die Amis.“