Kanada 2015 Torwarttrainer Fuchs spricht über Schützling Angerer

Wieder schwingt sich Nadine Angerer in der Rolle als Elfmeterheldin zur Retterin der deutschen Mannschaft auf.

Deutscher Jubel in Kanada: Celia Sasic und Sara Däbritz (M.) eilen auf Elfmeterheldin Nadine Angerer zu.

Foto: EricBolte

Montréal. Manchmal hilft es, mit Nadine Angerer nur ein bisschen zu reden. Über das, was passiert ist. Und über das, was noch alles geschehen kann. Am Tag danach obliegt es Michael Fuchs, das aufgewühlte Innenleben der deutschen Nationaltorhüterin wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Meist geschieht das in der Vormittagseinheit nach einem Spiel. „Die gehört dann der ‚Natze’ und mir“, erzählt der Torwarttrainer, der weiß: Worte sind dabei wichtiger als Taten. Fuchs hat viel Erfahrung darin, wie einerseits bei der Elfmeterheldin des Viertelfinaldramas gegen Frankreich (5:4 n.E., 1:1 n.V.) die Entspannung eingeleitet und andererseits die Anspannung für das anstehende Halbfinale gegen die USA (Mittwoch 1 Uhr MESZ) beibehalten wird.

Angerer sagt nach dem Spiel: „Eigentlich bin ich zu alt für sowas“ „Wir bekommen das gut hin und haben feste Rituale entwickelt“, erzählt der 45-Jährige, der im Hauptberuf an der Bertolt-Brecht-Schule in Nürnberg Englisch und Sport unterrichtet und sich für diese Frauen-WM wieder hat freistellen lassen. Am Samstag haben die beiden auf dem Trainingsgelände des Stade de Soccer von Montreal lange zusammengesessen, um über die Erlebnisse im Olympiastadion zu sprechen. Über die Aufforderung der Bundestrainerin Silvia Neid, bitte zwei Elfmeter abzuwehren; über den mit dem Knie parierten Strafstoß von der letzten französischen Schützin, der erst 21 Jahre jungen Claire Lavogez; über den anschließenden Jubelsturm, dem auf der Pressekonferenz ein typischer Angerer-Spruch folgte: „Eigentlich bin ich zu alt für so was.“ Ihre Erklärung? „Ich hatte das Gefühl, dass sie Angst hat.“ Ihr Rezept? „Ich versuchem lange stehen zu bleiben.“

Nun hat die 144-fache Nationaltorhüterin zum Karriereende doch noch altbekannte Qualitäten wiederholt. So wie 2007 in China, als die Brasilianerin Marta im WM-Finale vergab. So wie 2013 in Schweden, als die Norwegerinnen Trine Rønning und Solveig Gulbransen im EM-Endspiel verzweifelten. „Es ist Wahnsinn, wie sie sich fokussieren kann“, findet der Torwartcoach, den das Happy End im überdachten Betonmonstrum der frankophonen Millionenstadt mit der „Spielerin des Spiels“ deshalb so mitnahm („Ich war auch total platt“), weil in der Vorbereitung nicht alles glatt gegangen war.

Spätestens als Fuchs selbst im Trainingslager in der Schweiz einen Muskelfaserriss in der Wade erlitt, war klar, dass es eine Gratwanderung werden würde, die durch die vielen Pausen und Reisen beeinträchtigte Angerer wieder auf Höchstniveau zu trimmen. Die spontane Art der in kein Schema zu pressenden Sportlerin führt dazu, dass die Schwankungsbreite im Formaufbau mitunter größer ist. Runter und rauf — und dann im richtigen Moment ganz oben, das zieht sich durch ihre Vita. Und das ist nebenbei ja auch ihr Buchtitel („Im richtigen Moment“). „Es wird nicht einfacher“, sagt die bei den Portland Thorns angestellte Angerer eingedenk des Halbfinal-Gegners. „Mit einigen US-Nationalspielerinnen habe ich zusammengespielt. Sie kennen mich, aber ich kenne sie auch.“

Jetzt kommt es zum Duell mit Torhüterin Hope Solo im Halbfinale

Für Fuchs ist die Spielvorbereitung deshalb vergleichbar „mit einer Prüfung, bei der sich man noch mal den ganzen Stoff durchliest.“ Im konkreten Fall stand gestern als Punkt eins im Training Flanken schlagen an, weil die recht einseitige amerikanische Angriffsvariante lange Flugbälle in den Strafraum auf Wuchtbrumme Abby Wambach vorsieht — Ersatztorhüterin Almuth Schult, die Angerer bald beerben darf, stellte dabei die US-Stürmerinnen nach. Punkt zwei betraf die Qualität von Tausendsassa Alex Morgan, gerne aus spitzem Winkel ansatzlos scharf zu schießen — Fahrer Ümit Dogan, ein sehr passabler Kicker, mimte dafür das Double.

Und dann gibt es ja noch jemanden, auf den bei diesem Duell zwangsläufig geblickt wird. Angerers Gegenüber Hope Solo, ebenso ein Charakterkopf, nur völlig unterschiedlich. Fuchs will bei der in diverse Skandale verwickelten US-Ikone nur die sportliche Leistung bewerten - und die ist über jeden Zweifel erhaben. „Ich habe Respekt, wie sich beide Torhüterinnen in ihrem Alter in dieses Turnier gearbeitet haben.“ Allen Unkenrufen zum Trotz: „Wir sehen die Teams mit den beiden besten Torhüterinnen.“ Bislang. Denn Fuchs weiß: „Beim Torwart ist es doch so: Es kann bis zum Schluss in jede Richtung gehen.“