Die Olympia-Wut in Rio wächst - Stadt droht der Kollaps
Rio de Janeiro (dpa) - Sonst werden hier auf der Station der Herzchirurgie zwölf Patienten zeitgleich behandelt. „Im Moment können wir nur sechs Plätze anbieten“, sagt Stationschef Joaquin Coutinho.
Es fehlt Geld, zudem ist rund ein Drittel des Personals im Streik. Der Bundesstaat Rio de Janeiro ist fast pleite. Aber Coutinho warnt davor, den Olympischen Spielen einseitig die Schuld zu geben, ein Großteil der Kosten werde von der Regierung in Brasilía übernommen.
Das Hospital Universitário Pedro Ernesto in Rio kann nach Angaben von Mitarbeitern zeitweise nur noch 200 statt bis zu 600 Patienten behandeln, in den dunklen Gängen kleben Plakate mit Aufschriften wie „Streik“, auch an der nahen Universität geht seit März fast nichts mehr, dort heißt es: „Olympia in Rio? Unser Gold ist öffentliche Bildung.“
Das Krankenhaus ist ein Sinnbild der Finanzkrise in Rio. Menschen warten lange auf Behandlungen, der Betrieb läuft auf Sparflamme. Aufgebrachte Mitarbeiter der Verwaltung, die auf ausstehende Gehälter warten, machen so lange Krach vor dem Büro von Direktor Edmar Santos, bis er schließlich herauskommt und spontan eine Krisenversammlung einberuft. Gebetsmühlenartig verweist er darauf, dass nicht er, sondern der Bundesstaat für die Zahlung der Gehälter zuständig sei.
Eine der Streikführerinnen ist Perciliana Rodrigues: „Die Zahlung der Gehälter ist drei Monate in Verzug“, klagt sie. „Viele können Mieten, Strom und Einkäufe nicht mehr bezahlen.“ Und wenn Geld fließt, gibt es Stückelungen der Gehälter, selten fließt noch ein ganzes Monatsgehalt. Hier wächst gerade die Olympia-Wut.
„Es gibt eine ganz klare Verbindung zu den Spielen“, meint die resolute Dame. „Sie lassen sich so ein Mega-Event viel kosten, aber unsere Patienten müssen leiden.“ Es gebe eine klare Priorisierung für Olympia-Projekte wie die immer teurer werdende Metrolinie in den Stadtteil Barra, wo sich der Olympiapark mit den meisten Sportstätten befindet. Die könnte am Ende über 2,5 Milliarden Euro kosten und ein Viertel der Gesamtkosten von Olympia verschlingen. Aber noch fehlt ein ganzer Kilometer, vielleicht wird sie nicht fertig bis August. Dann droht ein zeit- und nervenraubendes Transportchaos.
Eine andere Frau klagt bei der Versammlung mit dem Direktor des staatlichen Hospitals: „Es fehlt hier alles: Medikamente, Handschuhe, Desinfektionsmittel, Hygienepapier.“ Von zu Hause würden Angestellte nun sogar Druckerpapier mitbringen. Irgendwie scheinen die Spiele für Rio zur Unzeit zu kommen: Brasilien steckt in einer der tiefsten Rezessionen seiner Geschichte. Das bedeutet weniger Steuereinnahmen, hinzu kommt ein drastischer Rückgang der gerade für den Bundesstaat Rio de Janeiro so wichtigen Einnahmen aus dem Erdölgeschäft.
Die Zentralregierung ist durch Ausrufung des Finanz-Notstands quasi erpresst worden, eine Geldspritze von 2,9 Milliarden Real (780 Mio. Euro) beizusteuern. Doch ob das reicht, um wieder alle Gehälter für zehntausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zu bezahlen?
Ein Teil wird auch für die Fertigstellung der Metrolinie gebraucht. Gouverneur Francisco Dornelles schlug Anfang der Woche in einem bemerkenswerten Interview Alarm: „Wir können großartige Olympische Spiele organisieren, aber wenn bestimmte Maßnahmen ausbleiben, kann es ein großes Scheitern werden.“
Zwar steht die Finanzierung der Spiele an sich - aber vor allem die Polizei geht gerade auf die Barrikaden. Laut Dornelles kann nur noch bis Ende der Woche das Benzin für die Fahrzeuge bezahlt werden, der Bundesstaat gibt für Sicherheit pro Monat 940 Millionen Reais (251 Mio. Euro) aus, zu Olympia werden die Kosten sprunghaft ansteigen.
Für den 6. Juli gibt es Aufrufe zum Generalstreik im Bundesstaat Rio de Janeiro. Am Flughafen empfingen diese Woche demonstrierende Polizisten und Feuerwehrleute Gäste mit einem Plakat: „Willkommen in der Hölle - Polizei und Feuerwehr werden nicht bezahlt. Wer immer nach Rio de Janeiro kommt, wird nicht sicher sein.“ Hoteliers der Olympiastadt helfen solche Botschaften nicht. Schon wegen der Angst vor dem Zika-Virus könnten viel weniger Touristen als gehofft kommen.
Noch sind es kleine Proteste, aber einige der Streikenden im Hospital sind sich sicher: Wie im Vorfeld der Fußball-WM könnte es wieder zu Massenprotesten kommen, kurz vor der Eröffnung. Die andere These in Rio: Die krisengeplagten Menschen werden wie im Karneval die Spiele feiern - sie sehnen sich mal nach ein paar Wochen guter Stimmung.