Edelfan Putin und die olympischen Kulissenspiele
Sotschi (dpa) - Wladimir Putin kann von seinem Hobby nicht genug bekommen. Nach einem Meeting mit Bundesaußenminister Steinmeier und anderen Polit-Terminen in der Nähe von Moskau jettete er sofort zurück nach Sotschi zur Fortsetzung seiner durchgeplanten Selbstinszenierung im Namen von Olympia.
Stolz präsentiert der Kremlchef dem Rest der Welt seine Neureichen-Spiele an der Schwarzmeerküste. „Es ist eine große Ehre, die Olympischen Winterspiele auf dem höchstmöglichen Level zu veranstalten und das neue, moderne Russland vorzustellen“, sagte Putin. Sotschi 2014 sei Russlands Beitrag zu einer besseren Welt durch Sport. Und genauso soll es bleiben bis zum Finale am 23. Februar.
IOC-Präsident Thomas Bach und Sotschis Olympia-Macher schwärmen gerne von hochklassigen Wettkämpfen, Weltklasse-Sportstätten, Athleten-Begeisterung und Rekord-Beteiligung von 2900 Sportlern aus 88 Ländern. „Die Spiele sind sehr gut organisiert, die Bedingungen für Athleten hervorragend“, sagte Bach in einer Halbzeitbilanz. „Ich habe bisher noch keine einzige Klage von Athleten gehört.“ Die Organisation des widersprüchlichen Winterfests in den Subtropen lief bisher reibungslos, Demonstrationen blieben aus. Die Stimmung sei „elektrisierend“, tönte Organisationschef Dmitri Tschernyschenko. Russland könne stolz sein, meinte Sportminister Witali Mutko.
Über die anderen Wahrheiten, die sich hinter den Glitzerfassaden der Neubauten im Olympia-Park verstecken, sprechen die Russen kaum. Putins Propaganda-Tour, Umweltfrevel, Korruption, Diskriminierung, Ausbeutung der Wanderarbeiter und das Anti-Homosexuellen-Gesetz machen Sotschi 2014 für die BBC zur „teuersten Sünde der olympischen Geschichte“. „Diese Dinge sind real und existieren weiterhin. Wir sehen sie nur nicht, weil wir uns in einer Blase befinden. Sie wollen uns komplett von all dem abschirmen“, sagte Snowboarder Michael Lambert aus Kanada. 51 Milliarden Dollar hat der Kreml in das olympische Großprojekt investieren lassen. Herausgekommen ist ein Paralleluniversum in einem Hochsicherheitstrakt, das spektakuläre TV-Bilder liefert - bei frühlingshaften Temperaturen 45 Autominuten von der Stadt Sotschi entfernt.
„Es ist ein wenig surreal“, wunderte sich Russlands Tennis-Ikone Maria Scharapowa im Staatsfernsehen. Als Kind hat sie vier Jahre in dem Kurort verbracht. Heute prägen neue Straßen, eine fast 50 Kilometer lange Bahnlinie in die Bergregion Krasnaja Poljana und futuristische Eispaläste wie der Bolschoi-Dome das Bild der Schwarzmeerstadt. Dem globalen Fernsehpublikum garantieren die Prachthallen und Palmen pittoreske Panoramen. ARD und ZDF dürfen sich über hohe Marktanteile freuen. Die befürchtete Doping-Lawine ist bisher ausgeblieben - oder nicht sichtbar geworden.
„Alle sagen mir, dass das Olympische Spiele sind, die zu den bestorganisiertesten gehören, die sie erlebt haben“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei seinem Sotschi-Besuch und monierte lediglich die Atmosphäre bei den Wettkämpfen: „Mir fehlt nur etwas das Überschwängliche von Vancouver und London.“ Goldcoups von Alpin-Star Maria Höfl-Riesch, Skispringerin Carina Vogt, Kombinierer Eric Frenzel und den Rodlern lassen die Leistungsplaner zuversichtlich in die zweite Hälfte der Spiele gehen. Mit sieben Gold-, drei Silber- und zwei Bronzemedaillen lag das 153-köpfige deutsche Team zur Halbzeit insgesamt hinter Vancouver 2010 (6/7/5).
„Die bisherige Bilanz ist, was Gold angeht, sehr gut. Was die Medaillenzahl angeht, gut“, sagte der Minister. Vielversprechende Aussichten bieten in den kommenden sieben Tagen noch die Kombinierer sowie die Bob- und Alpin-Wettbewerbe. Gastgeber Russland blieb mit nur vier Olympiasiegen, siebenmal Silber und fünfmal Bronze zumindest bislang hinter den Erwartungen zurück.
Wenigstens ist Putins Liebling Jewgeni Pluschenko neben Norwegens Biathlon-Legende Ole Einar Björndalen schon jetzt eines der Gesichter der Spiele. Der 31 Jahre alte Eiskunstlauf-Zar führte Russland beim erstmals ausgetragenen Teamwettbewerb gleich zum Sieg - und handelte sich nur vier Tage später Ärger ein. Trotz Bandscheibenproblemen wollte Pluschenko sein Glück auch in der Einzelkonkurrenz versuchen, sagte aber kurz vor Beginn des Kurzprogramms verletzt ab, verbaute so dem talentierten Youngster Maxim Kowtun das Olympia-Debüt und beendete prompt seine Karriere. Björndalen sicherte sich ohne großes Aufsehen den siebten Olympiasieg seiner Laufbahn.
Sportliche Großtaten haben die leeren Ränge und fehlende Atmosphäre der Anfangstage inzwischen weitgehend aus dem Fokus verdrängt. Auch das hochkarätig besetzte Eishockeyturnier mit fast 150 Stars aus der nordamerikanischen Profiliga NHL trägt viel zum Stimmungsumschwung bei. Die schmerzhafte Pleite nach Penaltyschießen im Vorrunden-Krimi gegen den Erzfeind USA spielte Putin herunter. So sei nun mal der Sport, gerade bei Olympia. Im Spannungsfeld zwischen olympischen Idealen und Kommerz begegnen sich die russische Pose und gefährliche Sensationsgier. Die Olympia-Premiere von zwölf neuen Disziplinen belebt das Programm der Winterspiele. Vor allem die Slopestyler versprühten einen Hauch von X-Games-Flair.
Nach zahlreichen Stürzen im Extreme Park musste sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Kritik anhören, aus dem tödlichen Trainingsunfall des Rodlers Nodar Kumaritaschwili in Vancouver wenig gelernt zu haben. Sicherheitsbedenken würden nicht ernst genug genommen, so der Vorwurf. Beim Training der Skicrosser stürzte die Russin Maria Komissarowa so schwer, dass sie danach sechseinhalb Stunden operiert werden musste. Die 23-Jährige brach sich den zwölften Brustwirbel und zog sich eine Verschiebung der Wirbelsäule zu. Ihr Zustand sei ernst, aber stabil, erklärte das IOC. Putin besuchte die Athletin demonstrativ im Krankenhaus und wünschte ihr gute Besserung, wie er über einen Sprecher mitteilen ließ.
Russlands Präsident gibt sich gern volksnah und großzügig in diesen Olympia-Tagen. Beim Thema Nachhaltigkeit seiner Spiele ist es mit der bemühten Lockerheit aber wieder vorbei. Nach der Milliarden-Investition für die Erneuerung Sotschis schloss er eine weitere finanzielle Unterstützung für den Kurort aus: „Bei aller Liebe zu Sotschi - jetzt muss sich die Stadt mit anderen Mitteln entwickeln.“