Geflüchtete Syrerin Mardini will bei Olympia schwimmen
Berlin (dpa) - Mit leicht ungläubigem Blick betritt die Schwimmerin Yusra Mardini im Blitzlichtgewitter das Podium in Berlin. Mehr als 100 Journalisten aus aller Welt sind gekommen, um die Geschichte der Syrerin zu hören: Sie will mit dem Flüchtlings-Team bei den Olympischen Spielen in Rio starten.
„Das ist schon verrückt, aber auch interessant“, kommentierte die junge Frau das enorme Medienaufkommen. Die 18-Jährige ist im vergangenen Jahr zusammen mit ihrer Schwester aus Syrien nach Berlin geflohen. Bei den Wasserfreunden Spandau 04 haben sie ein neues Zuhause gefunden.
Mardini gehört zum erweiterten Kandidatenkreis der Athleten, die für das vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ins Leben gerufene Flüchtlings-Team (ROA - Refugee Olympic Athletes) in Frage kommen. Aus einem Kreis von 43 Athleten will das IOC bis Juni fünf bis zehn aussuchen, die bei den Sommerspielen im August starten sollen. „Rio ist mein Ziel und dafür arbeite ich sehr hart“, sagt Mardini.
Noch steht nicht fest, ob die selbstbewusste Jugendliche in der brasilianischen Metropole starten wird. Doch sollte Mardini bei der Eröffnungsfeier von Rio mit dem Team, das keine Nation vertritt, im Maracana-Stadion dabei sein, möchte sie allen auf der Flucht lebenden Menschen ein Gesicht geben. „Ich möchte alle Flüchtlinge stolz machen“, sagt sie, „ich möchte sie motivieren, ihren Traum zu leben, so wie ich.“
Für ihr Ziel Olympia trainiert Mardini zusammen mit Trainer Sven Spannekrebs jeden Tag hart. „Morgens um sieben frühstücke ich, dann geht es in die Schule. In den Freistunden trainiere ich, danach ist wieder Unterricht. Und nach der Schule geht es mit dem Training weiter“, beschreibt sie ihren Tagesablauf. Mardini rechnet sich gute Chancen über die 200 Meter Freistil aus. Die Qualifikations-Norm liegt dort bei 2:03 Minuten. Mardinis Bestzeit über diese Distanz liegt bei 2:11 Minuten.
Coach Spannekrebs macht sich wegen der acht Sekunden keine Sorgen: „Yusra hat sich in den letzten fünf Monaten stark verbessert. Sie überrascht mit jeden Tag aufs neue.“ Wegen des Krieges in ihrer Heimat konnte die Sportlerin zwei Jahre lang nicht trainieren. Ihr Vater verließ das Land noch vor seinen Töchtern, um in Jordanien als Schwimmtrainer Geld für die Familie zu verdienen.
Genau wegen solcher Vorgeschichten ist für einen Start im Flüchtlingsteam nicht nur die sportliche Qualifikation maßgeblich. Neben dem offiziellen Status als Flüchtling ist auch der persönliche Hintergrund wichtig. Zudem fasst das IOC die sportlich zu erfüllenden Kriterien nicht so eng wie bei anderen Athleten. „Sie sollen möglichst nah an die sportliche Qualifikations-Norm kommen“, erklärt der stellvertretende IOC-Generaldirektor Pere Miro in Berlin.
Bevor Yusra in der deutschen Hauptstadt landete, erlebte sie zusammen mit ihrer Schwester Sarah eine bewegende Flucht aus Damaskus, die am 4. September in Berlin endete. Dazwischen lagen die Stationen Libanon, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. Meist schlugen sie sich in langen Fußmärschen durch.
Auf der Überfahrt von der Türkei zur griechischen Insel Lesbos kam es fast zur Katastrophe: Schlepper pferchten 20 Personen in ein kleines Boot. Nach etwa 20 Minuten ging der Motor aus, Wellen schwappten ins Innere, die Menschen warfen Gepäck ab, doch das Boot begann zu sinken. Yusra, ihre Schwester und eine weitere Frau sprangen ins Wasser und nahmen das Boot schwimmend in Schlepptau.
„Von den 20 Leuten konnten nur wir drei schwimmen. Es wäre eine Schande gewesen, wenn wir nicht geholfen hätten“, schildert sie die dramatische Situation. Schließlich erreichten sie nach mehreren Stunden völlig erschöpft das Ufer. Es scheint, als ob sie das alles nicht zu nah an sich heranlassen möchte: Yusra erzählt das Erlebte wie eine Geschichte, die gar nicht ihr zugestoßen ist.
Mittlerweile ist die Familie wieder vereint: Mutter, Vater und die kleine Schwester sind nach Berlin nachgekommen. Dennoch vermisst Yusra ihre Freunde aus Syrien. „Wenn ich eines Tages dorthin zurückkehren kann, wäre ich glücklich“, sagt sie. Vorerst gilt ihre volle Konzentration aber ihrem Traum von den Olympischen Spielen.