Olympia-Pleiten verderben Russlands Fans die Stimmung
Sotschi (dpa) - Russlands Sportfürsten drohen mit der großen Abrechnung nach Olympia, in den Zeitungen gibt es Häme statt Hurra. „Eine solche Mannschaft braucht kein Mensch“ titelt der Moskauer „Sport Express“ nach der Sotschi-Pleite der russischen Eishockeystars.
Dass die stolze Wintersportnation bei den Heim-Spielen zudem im Biathlon enttäuscht habe, werde „bittere Konsequenzen haben“, droht Sportminister Witali Mutko. Wenige Tage vor Ende der Winterspiele geht im Gastgeberland die Angst um, im Medaillenspiegel noch nach unten durchgereicht zu werden.
Dabei war Russland mit riesigen Erwartungen in das 37,5 Milliarden Euro teure Spektakel am Schwarzen Meer gestartet. „Nun ist brutale Ernüchterung eingekehrt“, schreibt aber die Zeitung „Sowjetski Sport“. Zwar brenne die olympische Flamme in Sotschi noch, „aber das Feuer in uns lodert nicht mehr“, kommentiert das Fachblatt.
„Eishockey und Biathlon sind die Lieblingssportarten in unserem Land, und in beiden sind wir gescheitert“, räumt Mutko ein. Direkt nach der Schlussfeier am Sonntag will sich der Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin die Arbeit der Trainer und Spieler genau ansehen. „Dann werden wir Entscheidungen fällen“, sagt der Minister.
In der Kritik steht vor allem Eishockey-Trainer Sinetula Biljaletdinow. Er will trotz des Viertelfinal-Aus gegen Finnland (1:3) im Amt bleiben. Doch die Zeichen stehen auf Abschied - schließlich hatte Putin persönlich Gold im Eishockey gefordert.
Mit bisher mehr als 20 Medaillen in Sotschi hat Russland zwar das Ergebnis von Vancouver 2010 (15 Medaillen) bereits übertroffen. Mit sechs Goldmedaillen bleibt das Riesenreich aber weit hinter den Erwartungen zurück. Im Eiskunstlauf etwa holte das Land erstmals seit 20 Jahren kein Edelmetall im Einzellauf der Herren.
Hier ist der als „Egotrip“ kritisierte vorzeitige Ausstieg von Jewgeni Pluschenko für viele symptomatisch. Der Altstar verzichtete mit Hinweis auf eine Verletzung kurzfristig auf einen Start und verbaute damit Jungstar und Konkurrent Maxim Kowtun die Teilnahme. „Auch im Eishockey dachten viele Spieler nur an sich“, meint Russlands bekanntester TV-Sportmoderator Gennadi Orlow. „Gute Profis ergeben eben noch keine Mannschaft“, betont er. Tiefpunkt ist für viele die 1:3-Pleite der „Sbornaja“ im Eishockey gegen Finnland.
Zweimal war Putin zuvor bei Spielen in der Halle, im Viertelfinale ließ er sich nicht blicken - böse Vorahnung? Dass der Kremlchef die Niederlage nicht öffentlich kommentiert, gilt in Russland als sichtbarstes Zeichen der Unzufriedenheit. Dabei hatte Putin das Team zuvor als „beste Mannschaft des Turniers“ bezeichnet.
Längst schlägt die Kritik auf Stimmung und Motivation im russischen Olympia-Team. „In anderen Ländern bemüht man sich, Sportler nach Niederlagen wieder aufzubauen. In Russland ist es so: Gewinnen wir, sind alle unsere Freunde. Verlieren wir, kennt uns keiner“, sagt etwa Bobpilot Alexander Subkow.
Während Experten eine schlampige Nachwuchsarbeit für die magere Ausbeute verantwortlich machen, nennen einige Medien das verschärfte Anti-Doping-Programm als Grund für die Schlappe. Eine weitere Ursache sei die „verlorene Generation“ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als auch der Sport am Tiefpunkt war, schreibt die Zeitung „Komsomolskaja Prawda“. In den chaotischen 1990er Jahren wanderten etliche Spitzentrainer aus Russland in die USA aus, mit ihren fleißigen und hochmotivierten Schülern im Schlepptau. Der Zusammenbruch der alten Strukturen wirke bis heute fatal nach.