WADA-Generaldirektor zu Doping in Russland: „beunruhigend“

London (dpa) - Das Thema Doping beherrscht vor den Olympischen Spielen in Rio die Schlagzeilen. Auf die Welt-Anti-Doping-Agentur wartet viel Arbeit.

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Der neue Generaldirektor Olivier Niggli bezieht im Interview der Deutschen Presse-Agentur Stellung zu den schwerwiegenden Doping-Anschuldigungen gegen Russland, den Aufgaben in Rio und auch zur Kritik an der WADA.

Am vergangenen Freitag hat der Leichtathletik-Weltverband die Sperre Russlands auch für die Olympischen Spiele bestätigt. Der Ruf nach einem Komplett-Ausschluss wird lauter. Wie stehen Sie dazu?

Olivier Niggli:Wir müssen auf den unabhängigen Report von Richard McLaren warten. Wenn dieser sagt, es gibt Beweise dafür, dass es bei den Winterspielen in Sotschi organisiert vom Staat abgelaufen ist, bedeutet es, dass womöglich der gesamte Sport betroffen ist. Das verlangt eine starke Entscheidung, nicht nur von der WADA, sondern von allen, die betroffen sind. Es werden wichtige Diskussionen anstehen.

Erst vor zwei Wochen hat es neue Doping-Anschuldigungen gegen Russland in einer ARD-Dokumentation gegeben. Offensichtlich hat sich nichts geändert. Wie geht die WADA mit diesen Informationen um?

Niggli:Wir schauen darauf, haben auch unsere Experten in Moskau. Wenn es so sein sollte, dass gesperrte Trainer in Russland weiter tätig sind, ist das sehr enttäuschend. Wir brauchen einen Kulturwandel. Es bedarf einer klaren Ansage des Sportministeriums. Das ist alles sehr beunruhigend.

Welchen Sinn haben noch Nationale Anti-Doping-Agenturen, wenn sie beim Betrugssystem mithelfen, wie womöglich in Russland geschehen?

Niggli:Grigori Rodschenkow (Anm.: ehemaliger Chef des russischen Doping-Kontrolllabors) sagte, dass er alles mit der Anti-Doping-Agentur Rusada auf Anordnung vom Staat ausgearbeitet hat. Das sind Punkte, die wir bereden müssen. Wie können wir die Glaubwürdigkeit wiederherstellen? Wie können wir Korruption bekämpfen? Man kann sicher Überwacher installieren, um zu versuchen, das Risiko zu minimieren. Aber wenn es vom Staat auf diesem Level organisiert wird, können die Anti-Doping-Institutionen nur wenig ausrichten. Da müssen wir realistisch bleiben. Russland muss sein System komplett neu aufbauen.

Wie steht es mit den weiteren Sorgenkindern wie Kenia oder Mexiko?

Niggli:Hier ist der Fall etwas anders gelagert. Diese Länder sind wegen ihrer fehlenden Implementierung der Regeln nicht konform und nicht wegen einer Verletzung gegen diese Regeln. Wenn sie dies ändern und es auch umsetzen, sind sie auch wieder im Compliance-Programm der WADA.

Die WADA scheint zukünftig verstärkt investigativ mithilfe Kronzeugen vorgehen zu wollen. Ist dies der neue Weg und nicht mehr die Konzentration auf intelligente Kontrollen?

Niggli:Ich glaube, eine Kombination aus vielen Dingen ist entscheidend. Wir brauchen alle Werkzeuge, die wir haben. Kontrollen bleiben eine Sache, die gemacht werden müssen. Aber das ist nicht die einzige Antwort. Der Athletenpass ist ein wichtiger Baustein. Entscheidend ist ein intelligentes Vorgehen. Intelligenz sorgt für ein besseres Testprogramm und führt manchmal auch zu Nachforschungen. Alle Dinge zusammen erzeugen ein wirksames Paket.

Profitiert die WADA womöglich von den großen Dopingskandalen, weil ihre Bedeutung steigt?

Niggli:Ich würde nicht sagen, dass wir profitieren. Doping bestimmt die Schlagzeilen und wird es wohl auch weiter tun. Ich hoffe als Ergebnis, dass allen Beteiligten bewusst ist, dass der Kampf gegen Doping oberste Priorität hat.

Es scheint, dass die Dopingskandale den Sport im Griff haben. Kann man da tatsächlich noch von Fortschritten im Kampf gegen den Sportbetrug sprechen?

Niggli:Ich denke, dass wir weitergekommen sind. Wir haben bessere Regeln, einen Code, der uns mehr Befugnisse einräumt. Wir haben einige Dinge erreicht, wir haben die Unterstützung für investigative Ermittlungen, die wir vor einigen Jahren nicht hatten. Die politische Unterstützung ist größer geworden. Es ist aber noch viel zu tun.

Auch die WADA muss sich Anschuldigungen erwehren, wie etwa die umstrittenen Mails zwischen Präsident Craig Reedie und dem russischen Sportminister Witali Mutko. Welche Fehler wurden in Ihrem Hause gemacht?

Niggli:Wir müssen das große Bild sehen. Diese Mails wurden zu Zeiten gesendet, als der erste Report der unabhängigen Untersuchungskommission zu Russland noch gar nicht publik und Russland ein Mitglied des WADA-Foundation-Boards war. Ist es wirklich unlogisch, dass der WADA-Präsident an ein Mitglied des Boards schreibt? Vielleicht war die Wortwahl nicht die beste, wie es Craig Reedie auch gesagt hat. Für mich geht es um die Fakten. Wir haben den ersten Report, wir haben den zweiten. Russland ist suspendiert. Was braucht es noch, um zu zeigen, dass wir unseren Job machen?

Wissenschaftler sprechen mit Blick auf Rio schon von den größten Doping-Spielen der Olympia-Geschichte. Stimmen Sie dem zu?

Niggli:Welch eine beängstigende Aussage. Wir machen alles Mögliche, um ein sehr gutes Testprogramm im Vorfeld der Spiele zu machen. Zum ersten Mal haben wir auf Wunsch des IOC eine Task Force aus sechs nationalen Anti-Doping-Agenturen, die intelligent zusammenarbeiten und ein Programm erarbeiten, das Sinn macht. Hier geht es etwa um Zielkontrollen. Und wir haben noch das Mittel der Nachkontrollen. Proben werden eingefroren. Ich bin sicher, dass die Nachricht bei den Sportlern angekommen ist.

Wieviele Proben wird es in Rio geben?

Niggli:Das IOC bestimmt die Anzahl, wir überwachen das Programm. Es geht aber nicht um die Quantität der Proben, sondern um die Qualität der Tests.

ZUR PERSON:Olivier Niggli hat am 1. Januar 2016 zunächst übergangsweise den Posten des Generaldirektors bei der Welt-Anti-Doping-Agentur angetreten. Ab dem 1. Juli wird der Kanadier dieses Amt fest bekleiden. Niggli war bereits von 2001 bis 2011 für die WADA in verschiedenen Positionen tätig, ehe er sich einer Schweizer Kanzlei in Lausanne angeschlossen hatte.