WM 2:1-Sieg gegen Schweden: Der Kroos-Moment für die Ewigkeit

Toni Kroos, der das 0:1 mit einem Fehlpass ermöglicht hatte, erzielt in der Nachspielzeit unter höchstem Druck das traumhafte Siegtor. Das Drehbuch eines dramatischen Comebacks.

Foto: Witters

Sotschi. Nach seinem unglaublichen 145. Ballkontakt drehte Toni Kroos ab. Über dem Fisht-Olympiastadion in Sotschi hatte sich bei tropischer Schwüle seit Stunden ein Gewitter, kommend aus dem kaukasischen Gebirge, aufgebaut. Jetzt entlud sich alles, die Naturgewalt, die Emotionen der deutschen Fans, der Spieler des Weltmeisters und vor allem die von Toni Kroos. Nie war eine Aktion des nahezu perfekten Ballverteilers so wichtig für die Nationalelf gewesen.

Unerbittlich tickte die Uhr herunter, die fünfte Minute der Nachspielzeit war erreicht, Deutschland mit mehr als einem Bein aus dem Turnier raus — ehe Toni Kroos den Ball vorbei an Schwedens Tormann Robin Olsen ins Tor zirkelte. Ein Kunstschuss zum 2:1 (0:1)-Erfolg, der amtierende Weltmeister meldete sich zurück. Was für ein Comeback.

Deutschland gegen Schweden
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Die Bandbreite des „Finals von Sotschi“ — Deutschland musste unbedingt gewinnen, um im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea am Mittwoch die Chance auf das Achtelfinale zu wahren — wurde an Kroos deutlich. Alles lief über den Profi von Real Madrid. Das 0:1 durch Ola Toivonen läutete der Star von Real Madrid mit einem kapitalen Fehlpass ein. Bundestrainer Joachim Löw sagte später: „Ich habe mich für ihn gefreut, dass er getroffen hat. Er war am Gegentor beteiligt, ein Fehlpass, das passiert ihm selten.“

Tatsächlich schlichen sich gerade vor der Pause bei Kroos die eine oder andere Fehleinschätzung der Passwege ein. Er wirkte ratlos, gestikulierte mit den Armen, als sein Mittelfeldpartner Sebastian Rudy sieben Minuten lang wegen eines Nasenbeinbruches behandelt wurde. Kroos verlor seine Linie und Kontrolle, und mit ihm das deutsche Team, es wurde kopflos. „Das 0:1 geht auf meine Kappe. Das war ein relativ einfacher Fehlpass, der mir normalerweise so nicht passiert. Aber das geschieht, wenn du im Spiel 400 Pässe spielst, dann kommen auch mal zwei nicht an“, erklärte Kroos. Für Statistiker: Deutschland passte 677 Mal, 89 Prozent der Bälle kamen an, die DFB-Auswahl hatte 74 Prozent Ballbesitz. Das nennt man Dominanz.

Toni Kroos zur Kritik an der deutschen Mannschaft nach dem 0:1 gegen Mexiko.

So wie Kroos vor der Pause zu straucheln drohte, so wuchs der Weltmeister nach der Pause. Der 28-Jährige meinte, dass man sich für ein gutes Spiel belohnt habe. Erst war da Marco Reus, der mit dem Knie eine Flanke von Timo Werner zum 1:1 verarbeitete. Dann rannten die Deutschen immer und immer wieder den schwedischen Strafraum an. Ohne Erfolg.

Als Jerome Boateng nach 80 Minuten die Ampelkarte sah, machte das Löw-Team einfach weiter. Alles oder nichts, Linksverteidiger Jonas Hector wurde durch Julian Brandt ersetzt, Deutschland agierte mit nur noch neun Feldspielern ohne Netz und doppelten Boden. Als Mario Gomez nicht ins Tor köpfte und Brandt den Pfosten getroffen hatte, rechnete niemand mehr mit dem Siegtreffer, ehe sich diese letzte eine Freistoßchance ergab. „Den wollte der Marco Reus zuerst direkt schießen. Ich war nicht überzeugt davon und wir haben uns für diesen Weg entschieden.“

Kroos, der Matchwinner, warf Ballast ab, erst im gemeinsamen frenetischen Jubel vor der deutschen Fan-Kurve, dann mit einer Schelte in Richtung der Experten in der Heimat. „Man hatte das Gefühl, relativ viele Leute in Deutschland hätte es gefreut, wenn wir aus dem Turnier rausgegangen wären“, hatte Kroos die Kritik der sportlichen Art akzeptiert, die Häme und den Spott aber nicht verstanden. Es hätte geschmerzt, man wisse um die Fehler, aber fehlende Körpersprache? Nein, wirklich nicht, das sei unfair. Der Weltmeister hat noch einiges vor. Und den Schwarzsehern und Dauernörglern schickte Kroos als Gruß: „So einfach machen wir es ihnen nicht.“