ARD-Doku über Doping in Russland schockt die Sportwelt
Erhebliche Beweise für ein nahezu flächendeckendes Dopingsystem in Russland.
Düsseldorf. Die Enthüllungen über Betrug, Doping und Korruption im russischen Spitzensport in der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht“ überschatten den Reformkongress des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Monte Carlo.
Statt am Wochenende ein Zeichen des Aufbruchs zu setzen, sieht sich das IOC mit dem Skandal in Russland konfrontiert. Der 60-minütige Film von Hajo Seppelt, in dem Insider und Sportler über ein nahezu flächendeckendes Dopingsystem auspacken, sei „ein extrem alarmierender Fall“, sagte David Howman, Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada).
IOC-Sprecher Mark Adams bezeichnete die Vorwürfe als „ernsthafte Anschuldigungen“ und teilte mit, dass die Ethik-Kommission des IOC die Angelegenheit untersucht. „Sollte es etwas geben, was das olympische Komitee und unseren Ethik-Kodex beeinflusst, werden wir nicht zögern, alle nötigen Maßnahmen durchzuführen“, sagte Adams.
Auch der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) kündigte Untersuchungen an. Immerhin belegen Videoaufzeichnungen die Verstrickung von Cheftrainer Alexej Melnikow in Doping oder ein heimlicher Handymitschnitt, wie die 800-Meter-Olympiasiegerin von 2012, Marija Sawinowa, ihre Einnahme von verbotenen anabolen Mitteln erklärt.
„Wie das ARD-Fernsehen zeigte, sind bei der Ethik-Kommission der IAAF bereits Untersuchungen zu Problemen des Dopings in der russischen Leichtathletik im Gange“, hieß es im Statement des Weltverbandes. Nach Angaben der IAAF sind zurzeit 68 russische Leichtathleten wegen Dopings gesperrt.
Die russische Anti-Doping-Agentur Rusada reagierte defensiv auf die ARD-Doku. „Es gibt keine Tatsachen und keine Originaldokumente, die einen Verstoß gegen Anti-Doping-Regeln belegen“, sagte Rusada-Exekutivdirektor Nikita Kamajew. Den Film habe er nicht gesehen und könne ihn deshalb auch nicht kommentieren.
„Vorverurteilungen machen im Moment keinen Sinn. Wir müssen belastbare Verfahren haben“, sagte IAAF-Councilmitglied Helmut Digel. „Ich hoffe, dass man in dem Fall schnell zu Ergebnissen kommt. Je länger er vor uns hergeschoben wird, desto größer wird der Schaden.“
Zweifel hat er, dass in Russland Justiz und Staat an einer Aufklärung interessiert sind. „Das ist ein Problem der Anti-Doping-Gesetze, dass sie auf dem Papier stehen, aber nicht umgesetzt werden“, sagte Digel. Dies gelte nicht nur für Russland.
Die deutschen Gewichtheber hegen schon länger den Verdacht auf systematisches Doping im russischen Sport. „In manchen Ländern gehört Doping zum Sport. Russland ist da kein Einzelfall“, sagte Christian Baumgartner, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber. Die ARD-Dokumentation habe ihn jedoch erstaunt: „Überrascht bin ich von der Dichte an Belegen, Daten und Zeugen.“
Im Biathlon kämen mehr als 80 Prozent der Athleten, die in den letzten Jahren suspendiert wurden, aus den ehemaligen Sowjetstaaten, erklärte Nicole Resch, Generalsekretärin der Internationalen Biathlon Union.
Der frühere russische Frauentrainer Wolfgang Pichler hat hingegen systematisches Doping bei den russischen Biathleten ausgeschlossen. „Es wird immer schwarze Schafe geben. Aber alle, das ist Schmarrn“, sagte der Ruhpoldinger. Zugleich hält er es aber für vorstellbar, dass im Zuge der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Sotschi im Auftrag des Sportministeriums am Verband vorbei eine Gruppe von Athleten aufgebaut wurde, „die gezielt für die Heimspiele an den anderen vorbei vorbereitet wurde“.
Pichler hatte in der vergangenen Saison Olga Saizewa, Jekaterina Glasyrina, Swetlana Slepzowa, Jana Romanowa und Jekaterina Schumilowa betreut. „Für diese Athletinnen lege ich meine Hand ins Feuer“, sagte er. Zugleich wurde aber eine Konkurrenzgruppe aufgemacht, aus der die letzten beiden EPO-Dopingsünderinnen - Jekaterina Jurjewa als Wiederholungstäterin und Olga Starych - erwischt und gesperrt wurden. Auch Nachwuchshoffnung Alexander Loginow wurde positiv getestet.
„Wir hatten immer das Gefühl, dass irgendwas läuft. Die haben das ziemlich gezielt mit ein paar Athleten probiert“, erklärte Pichler. Denn Russland habe nach den schwachen Leistungen bei den Winterspielen 2010 unter massivem Druck gestanden. „Die hatten in Sotschi Angst, dass sie keine Medaillen holen“, erklärte der jetzt für das schwedische Team arbeitende Pichler. dpa