Schwimm-Champ Biedermann: Wünsche mir, dass der DSV mutig ist
Halle/Saale (dpa) - Medaillen von Paul Biedermann waren bei Schwimm-Europameisterschaften garantiert. Der 31-Jährige, der nach Olympia 2016 seine Karriere beendete, schaut bei der in dieser Woche beginnen EM genau hin.
Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht er über seine Projekte, die Chancen der deutschen Schwimmer in Glasgow und lässt Kritik am Deutschen Schwimm-Verband anklingen.
Frage: Wie geht es Ihnen zwei Jahre nach dem Karriereende?
Antwort: Mir geht es gut, ich kann nicht klagen. Ich studiere im zweiten Semester Sportwissenschaften als Fernstudium. Dort konzentriere ich mich auf den Bereich betriebliches Gesundheitsmanagement. Dort sehe ich meine sportliche Perspektive, dass man durch Sport Leiden lindern kann. Bis vor Kurzem hatte ich auch eine Schwimmgruppe, die ich als Trainer begleitet habe. Für die Uni Halle hatte ich noch einen Lehrauftrag und habe dort Studenten das Schwimmen näher gebracht.
Frage: Und das hat Lust auf eine Trainerlaufbahn geweckt oder eher nicht?
Antwort: Eher nicht. Das hat mir gezeigt, dass die Arbeit als Schwimmtrainer sehr anspruchsvoll ist und dass ich als ehemaliger Athlet sehr viel umdenken musste. Erstmal ist es keine Berufsperspektive für mich.
Frage: Fehlt dem ehemaligen Athleten denn sein ehemaliger Leistungssport?
Antwort: Überhaupt nicht. Ich hatte das Glück mit dem Schwimmsport abschließen und aus eigenen Stücken aufhören zu können. Ich bin da mit mir im Reinen. Mir fehlt der Leistungssport nicht. Es gab keinen Moment, an dem ich den Rücktritt bereut hätte. Ich habe mit den Olympischen Spielen 2016 in Rio für mich ein gutes Ende gefunden.
Frage: Wurmt die verpasste Olympia-Medaille den mehrmaligen Welt- und Europameister noch?
Antwort: Ich habe eigentlich gar nicht mehr darüber nachgedacht. Ich habe mit dem Thema abgeschlossen. Klar, irgendwo fehlt die olympische Medaille in der Sammlung. Aber ich hatte das Glück, an drei Olympischen Spielen teilzunehmen. Ich habe da auch sehr viele tolle Menschen kennengelernt und erfahren, was für mich die olympische Idee bedeutete. Ich bin nicht wehmütig.
Frage: Wie sehen Sie den deutschen Schwimmsport aktuell aufgestellt?
Antwort: Ich habe mich jetzt sehr gefreut über das Abschneiden der deutschen Jugendschwimmer bei der EM. Natürlich bekommt man auch die Diskussionen bei der A-Nationalmannschaft mit. International bin ich auch im Bilde.
Frage: Wie bewerten Sie die Ergebnisse der deutschen Schwimmer international?
Antwort: Ich fand die Silbermedaille von Franziska Hentke bei der WM vor einem Jahr sehr gut. Florian Wellbrock hat in diesem Jahr sehr gute Ergebnisse erreicht, im Freiwasser den Weltcup gewonnen. Dazu ist er im Becken gute Zeiten geschwommen mit dem deutschen Rekord über 1500 Meter Freistil. Ich finde schon, dass wir gute Ergebnisse haben. Wir müssen sie nur auch entsprechend kommunizieren.
Frage: Wie sehen Sie die Entwicklung im deutschen Schwimmen?
Antwort: Ich würde mir wünschen, dass der DSV mutig ist und etwa mal die Termine der deutschen Meisterschaften für vier Jahre festlegt und weit im Voraus Trainingslager plant. Ich habe das etwa bei den Niederländern erlebt, die vier Jahre im Voraus planen und buchen. Das gibt Trainern und Athleten viel Sicherheit. Das gehört für mich zum professionellen Sport dazu, dass die Termine viele Jahre im Voraus bekannt sind. Die Termine dürfen sich nicht jährlich ändern.
Frage: Wie bewerten Sie die Arbeit von Chefbundestrainer Henning Lambertz?
Antwort: Ich habe viel mit Henning im vergangenen Jahr kommuniziert. Die Sachen, die er anstößt, verfolgt er akribisch und will sie zu Ende bringen. Doch etwa bei seinem Krafttrainingskonzept sind wir nicht einer Meinung. Das widerspricht all dem, was ich die ganzen Jahre trainiert habe. Ich bin da kein Fan von. Soweit ich weiß, wurden da auch jetzt Anpassungen vorgenommen. Solche Konzepte sollte man mit den Heimtrainern zusammen planen.
Frage: Wie sieht Ihre Prognose für die EM aus?
Antwort: Das ist schwierig zu sagen. Wir haben mit Philip Heintz, Sarah Köhler oder Franziska Hentke Schwimmer, die sehr gute Leistungen bringen können. Ich bin gespannt auf die Nachwuchsschwimmer. Dass der Fokus des Verbandes auf den Staffeln liegt, kann ich nicht so verstehen. Ich hätte lieber pro Strecke zwei Schwimmer mitgenommen, dann hätte man sich in der Breite mit individuellen Schwimm-Ergebnissen besser präsentiert.
Frage: Wie gefällt Ihnen das neue Format der European Games?
Antwort: Ich finde es nicht verkehrt, weil sich da eine Vielzahl von Sportarten präsentieren kann. Vielleicht entsteht eine Art Stimmung wie bei Olympischen Spielen, wenn auch um ein Vielfaches kleiner. Es sollte allerdings keine Sportart zu sehr im Fokus sein. Wenn möglich, sollten alle gleichmäßig Aufmerksamkeit bekommen.
Frage: Schauen Sie bei Ihren Weltrekord-Strecken 200 und 400 Meter Freistil besonders hin und freuen sich, dass die Bestzeiten seit 2009 noch bestehen?
Antwort: Man vergleicht schon die Zeiten auf diesen Strecken. Es würde mich ehrlich freuen, wenn die Rekorde fallen. Rekorde sind nicht dafür da, für immer zu bestehen. Sie sind dafür da, gebrochen zu werden.
Frage: Würden Sie sich gerne selbst einbringen in den deutschen Schwimmsport?
Antwort: Das würde ich nach wie vor gerne machen. Henning hatte mich im vergangenen Jahr zur WM eingeladen. Das Angebot habe ich damals abgelehnt, weil ich noch zu viel Athlet war und nicht genug Abstand hatte. Ich war vom Kopf noch nicht bereit, so eine Rolle zu übernehmen. Seitdem haben wir keinen weiteren Kontakt gehabt und vom DSV kamen keine weiteren Anfragen. Ich stehe weiter bereit, mich für den Deutschen Schwimm-Verband einzusetzen, aber da muss man aktiv auf mich zukommen.
ZUR PERSON: Paul Biedermann ist der erfolgreichste deutsche Schwimmer des vergangenen Jahrzehnts. Der 31-Jährige beendete vor zwei Jahren seine Laufbahn. Die Weltrekorde über 200 und 400 Meter Freistil von 2009, als er Doppel-Weltmeister war, stehen immer noch.