75. Geburtstag Ali-Gegner Blin zieht Bilanz: Lieber Moneten als Medaillen

Hamburg (dpa) - Jürgen Blin rennt durch die Boberger Niederung, der Schweiß tropft. „Das muss ich haben. Sonst werde ich nervös“, keucht der ehemalige Box-Europameister. Er muss daran denken, dass er elf Jahre zuvor live im Fernsehen für tot erklärt worden war.

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„Ich war damals topfit und bin heute topfit“, protestiert der einstige Faustkämpfer, der mehrmals die Woche sechs, sieben, manchmal auch zehn Kilometer in unmittelbarer Nähe seines Häuschens am Hamburger Stadtrand läuft.

ARD-Reporter Waldemar Hartmann hatte 2007 eine falsche Information zur Hand und verkündete zu Beginn eines WM-Kampfes den 7,5 Millionen Zuschauern am TV-Schirm die vermeintliche Todes-Botschaft. „Da war die Hölle los bei mir. Freunde und Bekannte riefen geschockt an oder kamen gleich vorbei“, erzählt Blin. „Aber es war alles gut. Als Entschädigung hat mich Waldemar Hartmann zum nächsten Titelkampf nach Rostock in ein schönes Hotel eingeladen.“

Blin hatte in seinem Leben viele Aufreger. Am 24. April soll es nicht so hektisch werden. Da feiert er seinen 75. Geburtstag. Am Sonntag danach gibt es eine Party mit rund 70 Personen. „Das organisiert alles mein Sohn Frank. Der kommt aus der Gastronomie, hat einige hundert Angestellte und auch ein bisschen Geld“, sagt Blin. Geschenke soll keiner mitbringen. „Gute Laune reicht“, meint er.

Wird über Blin als Boxer geplaudert, ist auch immer der Name Muhammad Ali im Spiel. Gegen den hatte der Hamburger 1971 in Zürich geboxt. „Das war 'ne große Sache“, schwärmt Blin. Natürlich war er, wie er es nennt, „baden gegangen“: K.o. in Runde sieben. „Das war der einzige Kampf, von dem ich vorher wusste: Den kannst du nicht gewinnen.“ Ali selbst hatte schon vorher auf deutsch gehöhnt: „Jürgen Blin, der fällt hin.“ Immerhin steckte der in Burg auf Fehmarn geborene Blin 180 000 D-Mark Schmerzensgeld ein. „Oh, Mann. Das war richtig viel Geld“, sagt er.

Begonnen habe sein Leben erst mit 15. An die Jahre zuvor erinnert er sich nur widerwillig. „Das war nur Mist“, zischt er. „Eine Kindheit hatte ich nicht. Das war schlimm. Mein Alter war Alkoholiker, hin und wieder gab's den Arsch voll. Ich war ihm egal.“ Nach der Hauptschule haute der Sohn eines Melkers von zu Hause ab und heuerte auf einem Schiff an. „Da gab's 100 Mark im Monat“, berichtet er rückblickend.

Zurück an Land machte Blin eine Fleischerlehre. Auf der anderen Straßenseite hatte ein Boxclub sein Domizil. Da begann seine Ringkarriere. Er wurde deutscher Meister bei den Amateuren, dann bei den Profis, schließlich Europameister. „Aber Gürtel und Medaillen waren mir nicht wichtig. Ich wollte lieber Moneten. Ich wollte raus aus dem Dreck.“

Mit 31 hörte er auf im Ring, baute sich Kneipen und Imbisse auf, auch im Hamburger Hauptbahnhof. „Ich hatte zehn Angestellte“, sagt er stolz. Kneipen und Imbisse hat er heute nicht mehr. Tiefschläge musste er einige wegstecken: Sein manisch-depressiver Sohn stürzte sich 2004 aus dem Fenster in den Tod; im vergangenen Jahr starb seine Ehefrau an Krebs. „Schwere Zeit“, stöhnt er.

Heute schreibt er seine Memoiren. „Da kommt richtig was zusammen“, betont Blin. Dem Boxen hat er nie abgeschworen. Noch heute trainiert er Nachwuchskämpfer. Im Stall des Hamburgers Erol Ceylan will er den Kroaten Agron Smakici groß rausbringen. „Das ist einer wie Klitschko: 1,98 lang, 110 Kilo schwer. Guter Junge“, lobt er seinen Schützling. Den jungen Leuten will er Vorbild sein. „Als Trainer muss ich fit sein. Deshalb renn ich ja“, erzählt er. „Manchmal flieg ich auf die Schnauze. Egal, geht weiter.“