Alles neu: Amateurboxer stellen auf Dauerangriff um

Oldenburg (dpa) - Amateurboxen sieht jetzt anders aus. Bei den 91. deutschen Meisterschaften in Oldenburg hat es deutlich mehr Bewegung im Ring, aber auch mehr Platzwunden an den Köpfen der Faustkämpfer gegeben.

„Das Kampfverhalten ist wesentlich dynamischer geworden“, sagte Jürgen Kyas, Präsident des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV). Schuld sind Regeländerungen: Erstmals seit 25 Jahren wurde ohne Kopfschutz geboxt. Zudem wird nach der bei den Profis bekannten 10-Punkte-Methode pro Runde gewertet, die einen aktiveren Boxstil erzwingt. Fünf Punktlichter geben ihr Urteil ab. Um vorherige Absprachen zu vermeiden, werden per Zufallsgenerator nur drei ausgewählt.

„Die Intensität der Kämpfe hat extrem zugenommen“, resümierte Kyas. „Die Boxer sind aggressiver, machen Tempo bis zum Schluss.“ Was allerdings negativ auffällt: Weil nicht mehr ausschließlich die Zahl der Treffer über den Sieg entscheidet, sondern Aktivität und Dominanz enorm wichtige Kriterien sind, stürzen einige Rivalen wild aufeinander los und lassen die boxerische Linie vermissen. „Der Lernprozess hat erst angefangen. Er braucht noch Zeit“, sagte Kyas entschuldigend.

Dass die höhere Aktivität im Ring durchaus geordnet verlaufen kann, zeigte Arayk Marutyan im Weltergewicht. Der 21 Jahre alte Vize-Europameister aus Schwerin präsentierte sich als stärkster Finalist. Den Lohner Slawa Kerber beherrschte er nach allen Regeln der Boxkunst. Bei der WM in Almaty/Kasachstan (11. bis 27. Oktober) gehört der gebürtige Armenier zu den Hoffnungsträgern. Ordentliche Leistungen lieferten auch Artem Harutyunyan aus Hamburg im Halbweltergewicht, Johann Witt (Villingen-Schwenningen) im Schwergewicht, der Straubinger Edgar Walth im Bantamgewicht und der Neusser Ham Touba im Fliegengewicht ab.

Im Mittelgewicht konnte der etablierte Olympia-Fünfte Stefan Härtel den Jüngeren Xhek Paskali (Ludwigsburg) und Dennis Radovan (Köln) gerade noch die Stirn bieten. „Da zeichnet sich eine Wachablösung ab“, sagte Kyas. „Es ist eingetreten, was ich erhofft habe: Der Nachwuchs macht den Platzhirschen Probleme. Die Jungen wollen nach Rio.“ Der Berliner Härtel sieht das anders: „Ich bin älter, erfahrener. Ich bin ein gestandener Mann und habe deshalb Vorteile vor den Jüngeren.“

13 Cuts in 95 Kämpfen wegen des fehlenden Kopfschutzes sind mehr als befürchtet. Aber nur zwei Duelle mussten aufgrund der Risswunden abgebrochen werden. „Wir hatten mehrere Hinterkopfverletzungen, aber nicht durch Kopfstöße. Die scharfen Kanten der Klebebänder am Handschuhschaft haben dazu geführt. Das haben wir erst spät bemerkt“, erklärte Kyas. Dennoch zieht er ein positives Fazit: „Der Kopfschutz suggerierte bisher eine Sicherheit, die es nicht gab. Jetzt ist die Reaktionsfähigkeit der Boxer höher, weil sie mehr sehen. Die Kämpfer müssen andere Bewegungsabläufe lernen, um sich vor Kopfstößen zu schützen.“