Boxunterricht im Flüchtlingsheim: Harutyunyan hilft
Hamburg (dpa) - Olympia-Boxer Artem Harutyunyan steht im kargen Flüchtlingsheim in Hamburg-Groß Borstel. Ein Gepäckwagen mit ramponierten Koffern und blauen Plastiksäcken wird hereingeschoben, eine junge Frau trottet ihrem Hab und Gut hinterher, an der Hand ein kleines Mädchen.
Harutyunyan erinnert sich an seinen eigenen Start in Deutschland. „Da, wo die Menschen jetzt sind, da waren wir auch mal. Ich weiß natürlich nicht alles, ich war noch sehr klein. Aber meine Eltern haben es mir erzählt, und wenig später habe ich alles bewusst erlebt“, sagt der gebürtige Armenier.
1991 kam der heute 25-Jährige mit seinen Eltern und seinem Bruder Robert aus Eriwan nach Hamburg. „Es war noch kein Krieg in Armenien, aber der Konflikt mit Aserbaidschan war schon da“, berichtet er. Als Asylbewerber mussten sich auch die Harutyunyans in Geduld üben. „Wir haben für unser Bleiben gekämpft. Ich habe den Menschen hier erzählt, dass ich schon mal in der gleichen Situation war. Und ich glaube, damit habe ich ihnen Mut gemacht.“ Harutyunyan erkennt einen Unterschied. „Die Menschen hier gehen einen noch schwierigeren Weg.“ Derzeit warten 500 Migranten in dem Heim auf ein Bleiberecht.
Im nächsten Jahr will der einstige Asylbewerber Harutyunyan in Rio eine olympische Medaille für Deutschland gewinnen. Zuvor möchte der 64-Kilo-Mann Nächstenhilfe leisten. Als Boxer, der 2013 EM-Dritter war und es in diesem Jahr in der neuen Profiserie des olympischen Boxverbandes AIBA bis ins WM-Finale im Halbweltergewicht geschafft hat, versteht er sein Handwerk. „Ich will den Flüchtlingen das Boxen nahebringen. Ich will, dass sie ihre Sorgen für einen Augenblick vergessen.“
Im Keller des Heims liegen in einem zu kleinen Raum zwei Matten. An der niedrigen Decke baumeln Boxsäcke. „Seit einem Jahr haben wir eine Trainingsgruppe. Ich finde es gut, dass etwas für die Alleinstehenden getan wird“, sagt Sozialmanagerin Caroline Smolny, die seit 17 Jahren in Flüchtlingsheimen tätig ist. Angebote für Familien, Frauen, Kinder gibt es mehrere. Für Alleinstehende kaum.
Harutyunyan zeigt fünf Syrern, wie sie auf den Boxsack einschlagen sollen, dann übt er mit ihnen an den Pratzen. Normalerweise wollten auch junge Männer aus anderen Ländern mittrainieren. Als sie hören, dass die Presse kommt und Fotos schießen will, lehnen sie ab. Sie haben Angst, ihr Bild in den Medien könnte sich negativ auf das Asylverfahren auswirken. Den Syrern jedoch macht es sichtbar Spaß. „Sie haben gestrahlt“, sagt Harutyunyan.
„Boxen hilft, Spannungen abzubauen“, sagt Smolny und erhält Unterstützung von Arsen Kostojew, einem jungen Mann aus Inguschetien. Sieben Jahre ist er in Deutschland, zwischendurch musste er seine Lehre abbrechen, weil er abgeschoben werden sollte. Seit Kurzem hat er wieder einen Job, ungelernt. „Die Jungs brauchen das Training. Manchmal macht das Leben im Heim aggressiv. Sie sollen sich nicht gegenseitig schlagen, lieber boxen“, erläutert der Übungsleiter. Rund 80 Asylbewerbern hat er in den vergangenen zwölf Monaten das Einmaleins des Boxens beigebracht. Er selbst war in seiner russischen Heimat Faustkämpfer. „Das wir jetzt so einen prominenten Boxer wie Harutyunyan hier haben, ist eine gute Sache“, sagt Kostojew.
Harutyunyan will sich nicht nur kurz für Pressefotos blicken lassen und dann auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub machen. „Ich will mehr. Ich will etwas Großes organisieren. Die Leute haben viele Sorgen, einige haben die Hoffnung aufgegeben. Sie brauchen Mut und Abwechslung.“ Gemeinsam mit dem Hamburger Boxverband soll ein regelmäßiges Training in einer großen Halle mit Boxring organisiert werden. Harutyunyan: „Sport ist ein Ast, an dem sich die Menschen halten können, um nicht vom Baum zu fallen.“