Coe: Spiele aus dem Blickwinkel der Athleten
London (dpa) - Er war der große Mittelstreckler der 80er Jahre: Sebastian Coe gewann Olympia-Gold über 1500 Meter 1980 in Moskau und 1984 Los Angeles und lief im Kampf gegen seinen Dauerrivalen Steve Ovett einen Weltrekord nach dem anderen.
Seit fast einem Jahrzehnt hat der 55-Jährige nun ein anderes Großprojekt unter seinen Fittichen: Olympia 2012 in seiner Heimatstadt London. Coe ist Präsident des Organisationskomitees (LOCOG) und damit Macher und Gesicht der Spiele zugleich. Der Nachrichtenagentur dpa gab er folgendes Interview.
Herr Coe, was ist einfacher: Als Athlet zwei Goldmedaillen zu gewinnen oder das größte Sportereignis der Welt zu organisieren?
Sebastian Coe: „Da gibt es in der Tat ganz deutliche Ähnlichkeiten. Es wird einem bei beiden Aufgaben klar, dass die Öffentlichkeit kaum erkennt, was man sich eigentlich alles aneignen muss. Diese tausenden von Stunden - sie werden einfach nicht gesehen. Ein Athlet versteht das. Deswegen glaube ich: Wenn man die Organisation der Spiele durch die Augen der Athleten sieht - dann werden es bessere Spiele.“
Das klingt nach einem stressreichen Job.
Coe: „Ja, wir sind ziemlich beschäftigt. Man muss sich klarmachen, dass wir die Sportstätten praktisch erst kurz vor Weihnachten als Gebäude übernommen haben. Jetzt machen wir Sport-Arenen daraus. Zum Beispiel müssen wir noch 80 Fernsehstudios einrichten. 70 Prozent der Wettkämpfe finden nicht im Olympiapark statt. Einige steigen in bereits bestehenden Gebäuden. Das Excel-Center, ein Konferenzzentrum, können wir beispielsweise erst im Juni überhaupt übernehmen.“
Herr Coe, es sind noch 100 Tage bis zur Eröffnungsfeier. Viele Londoner können noch nicht so richtig den olympischen Geist in der Stadt spüren. Sind sie ein wenig enttäuscht von Ihren Landsleuten?
Coe: „Ich bin Londoner und stolz darauf. Londoner sind wie alle Briten eher Spätzünder. Sie werden nicht über Nacht zu Fans. Aber wir haben eine Zustimmungsquote von 60 bis 70 Prozent. Als ich noch in der Politik war und wir hatten 30 Prozent, war das schon ein guter Tag. Ich glaube, der Start des Fackellaufes Mitte Mai wird einen Grad an Begeisterung schaffen, den die meisten nicht für möglich halten.“
Viele Briten sind sauer, weil sie keine Tickets bekommen können. Sogar die Eltern von Athleten wie David Hoy, Vater des Vierfach-Bahnrad-Olympiasiegers Chris Hoy, murren.
Coe: „Ich bin sehr stolz darauf, dass ich die Initiative "Athletes' Friends and Families" durchgesetzt habe: Jedem Athleten stehen zwei Tickets zu jedem seiner Wettkämpfe für Familie oder Freunde zu - das hat dieses Organisationskomitee unterschrieben. Zweitens: Die Tickets sind eine absolute Erfolgsgeschichte. Nennen Sie mir andere Spiele, bei denen man sich so früh umdrehen konnte zu einem internationalen Verband oder den NOKs und sagen konnte: 'All eure Athleten werden - vom ersten Moment an, wenn sie das Stadion betreten - volle Ränge vor sich sehen - mit Menschen, die dort auch wirklich sein wollen.' Zudem kosten zwei Drittel der Tickets 50 Pfund (59 Euro) und weniger.“
Auch das Thema Sicherheit beschäftigt die Menschen. Der Stachel der islamistischen Anschläge von 2005 sitzt noch tief...
Coe: „Viele Gedanken sind in diese Planung geflossen. Aber eines wird häufig vergessen: Es soll eine Balance geben. Ich will, dass die Menschen aus eurem Land zu den Spielen kommen und sich so fühlen, dass sie in einer Stadt in Feierlaune sind und nicht in einem Hochsicherheitstrakt. Das schaffen wir, weil es kein fremdes Terrain für uns ist. Wir stemmen ständig globale Großereignisse.“
London ist zum dritten Mal Olympia-Ausrichter - welche Spiele waren aus Sicht der Sportler die besten?
Coe: „1908 war außergewöhnlich - damals war zum ersten Mal ein richtiges Olympiastadion gebaut worden und die Wettkämpfer marschierten erstmals nach Nationen geordnet ein. 1948 war auch besonders. London war wohl die einzige Stadt der Welt, die willens und in der Lage war, die Spiele auszurichten. Aber wenn ich die Hütten, in denen die Athleten damals wohnen mussten, vergleiche mit der Qualität des olympischen Dorfes heute, wenn ich die technische Entwicklung anschaue und die medizinische Unterstützung heute und sie vergleiche mit 1948 - das ist eine komplett andere Welt.“
Noch älter als die ersten London-Spiele ist die Londoner U-Bahn. Wird die Tube den Massen standhalten? Manche halten schon Wetten dagegen.
Coe: „Ja, wird sie. Ich nehme jeden Morgen die U-Bahn und jeden Abend nach Hause. Ich bin schon als Baby im Arm Tube gefahren. Sie ist Teil meiner Kultur. Es ist ein herausragendes System: Hier fahren mehr Menschen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln als in fast jeder anderen Stadt der Welt. Und wir haben einen Plan in der Tasche, wie wir garantieren, dass besonders für diejenigen, die nur zur Arbeit fahren und nicht zu den Spielen gehen, die Störungen minimal sind.“
Arbeiten wollen auch die weltberühmten Londoner Taxifahrer. Sie fühlen sich von den für Olympia-Offizielle reservierten Olympic Lanes auf den Straßen in ihrem Wirkungskreis beschnitten.
Coe: „Taxifahrer können über 99 Prozent von Londons Straßen benutzen. Sie werden nur zu 30 Meilen keinen Zugang haben. Mann muss das ins Verhältnis setzen: Das olympische Straßennetz beträgt ein Prozent der Straßen und die Olympic Lanes, auf die keine Taxis dürfen, machen davon ein Drittel aus. Und warum muss das so sein? Weil die Athleten Priorität haben. Darüber lasse ich absolut nicht mit mir verhandeln!“
Wenn die Spiele vorüber sind: Was glauben Sie soll in Erinnerung bleiben von London 2012?
Coe: „Die wichtigsten Menschen der ganzen Spiele sind die Athleten. Ich möchte, dass jeder Sportler mir nachher in die Augen schauen und sagen kann: 'Du hast alles getan, was Dir möglich war, um meine Zeit hier - sowohl im Wettkampf als auch in der Freizeit - zur besten Zeit zu machen, die ich je bei einem Sportereignis erlebt habe.'“