Dahlmeiers Gold ist ein nachgewiesener Kindheitstraum
Mit einem perfekten Sprint-Rennen gewinnt die 24-Jährige ihre erste olympische Medaille. Weitere könnten folgen.
Pyeongchang. Sie steht auf ihrem Stockbett und jubelt. Eine Matratze als Ersatz für das Podium. Die Medaillenvergabe als nachgestellte Szene. Spielereien eines kleinen Mädchens. „Ich weiß nicht, wie alt ich war, aber schon als Kind habe ich den Traum gehabt.“ Laura Dahlmeier erinnert sich. Nur: In der Echtzeit ist alles anstrengender. Olympiasiegerinnen haben kaum Momente für sich allein. Interview-Marathon. Zeremonien mit und ohne Medaille. Repräsentationspflichten wie zu nächtlicher Stunde im Deutschen Haus. Aufgaben, die Laura Dahlmeier mitunter regelrecht zuwider sind. Die Seele der 24-Jährigen hat so gern Ruhe und ist mit sich allein.
Ein geradezu absurd erscheinender Gedanke nach der ersten Goldmedaille für Laura Dahlmeier im Sprint über 7,5 Kilometer. Im Alpensia Biathlon Centre bietet am Samstagabend ausgerechnet ein Flecken zwischen Umkleidekabine und Podest für einige Augenblicke jene Rückzugszone, die die junge Frau aus Garmisch-Partenkirchen zwischen der Gewissheit um Gold, einem perfekten Rennen und dem riesigen Rummel braucht, um „mal durchzuschnaufen, bei mir selber zu sein, die Emotionen und Gefühle wahrzunehmen“, wie es Laura Dahlmeier ausdrückt. Hier lacht sie. Befreit, beseelt. Glücklichsein trotz Öffentlichkeit.
Die Bayerin packt Norwegens Marte Olsbu und die Tschechin Veronika Vitkova, die Dritte wird, ungefragt bei den Händen und rennt mit ihnen, um mit Schwung die Arme in die Luft zu werfen. Jahrelang hat die fünfmalige Weltmeisterin von Hochfilzen auf diesen Tag hingefiebert. Nun soll Dahlmeier für das Unbeschreibliche noch Worte finden. „Das war super wichtig. Dass das so klappt, macht das besondere Gefühl aus“, sagt sie. Selbst in der Nacht wühlen sie die Emotionen noch zu sehr auf. Für das Gros ist es eine eingeplante Medaille angesichts der Vielzahl der Triumphe. Genau darin liegt die Krux, in der sich Dahlmeier ab und an wie gefangen fühlt. Die Erwartungen jener, die glauben, bei ihr sei ein Sturmlauf zum Sieg programmiert wie ein Vollwaschgang. Diese riesige Erwartungshaltung, verflixt verwoben mit dem Druck, ihren eigenen, höchsten Ansprüchen zu genügen. Um der Last Stand zu halten, hilft einzig die sture Konzentration auf automatisierte Abläufe am Schießstand. Einfach die gleichen Dinge machen wie im Training.
„Der einzige Unterschied spielt sich in deinem Kopf ab“, sagt Dahlmeier. Mit der hohen Schule der abgezockten Meisterschützin schießt sie bei Kälte, Wind und Flutlicht langsam, wie die 66. Schießzeit belegt, als einzige aus der Elite jedoch fehlerfrei. Der Code zu Gold. Alle Aufmerksamkeit gehört diesen Aufgaben, der Rest: ausgeblendet. Bis zur Ziellinie ist alles geplant, durchdacht, vorbereitet. Da überfrachten Fragen, was am Tag danach oder im Verfolgungsrennen heute (11.10 Uhr/Eurosport und ZDF) folgen möge, das Gehirn. Weltcupgesamtsieg, elf WM-Medaillen, Olympiasiegerin. Die sportliche Zukunft? Offen. „Ich weiß im Moment nicht, was ich nächste Saison tun werde“, sagt sie.
Am Tag danach Alltagsprogramm: Ergometer, auslaufen, dehnen, Gymnastik, Physiotherapie. Danach die Medaille abholen. Ein besonderer Moment. Auch für Bundestrainer Gerald Hönig, der nach dem Rennen eine Träne verdrückt. „Ein Olympiasieg ist noch mal etwas anderes als ein Weltmeistertitel“, sagt der 59-Jährige. Besonders nach dem Spielen in Sotschi, wo die Frauen Frusterlebnisse sammeln und den positiven Dopingbefund von Evi Sachenbacher-Stehle zu erklären hatten.
Jetzt Gold. Von der Muster-Biathletin, die sich extrem gut einschätzt, außergewöhnliches Körpergefühl mitbringt und große mentale Stärke besitzt. Ein solch fest geschnürtes Gesamtpaket registriert auch Hönig selten. Er ahnt: „Diese eine Medaille wird nicht dazu führen, dass sie oberflächlich oder leichtfertig an die nächsten Aufgaben geht.“
Denise Herrmann (21.) sagt über den Druck ihrer Teamkollegin: „Alle erwarten Gold von ihr. Dass man das dann so umsetzt, ist unglaublich. Da kann man nur den Hut ziehen. Wir werden noch viel von ihr sehen und hören die nächsten Tage.“ Heute stehen ihre Eltern an der Strecke. Familiäres Umfeld und heimatliche Gefühle tun Dahlmeier gut. An ihre Daunenjacke ist ein Kletterknoten geheftet. Ein Glücksbringer. Eine Erinnerung an die Heimat. Einer Freundin gibt sie einst mehr preis. Ins Album schreibt sie ihr als Berufswunsch: Hüttenwirtin. Oder Olympiasiegerin.