Coach Marco Sturm weckt deutsches Eishockey auf

St. Petersburg (dpa) - Marco Sturm weckt das deutsche Eishockey ein Jahr vor der Heim-WM wieder auf. Gleich bei seiner ersten Weltmeisterschaft als Bundestrainer hat der einstige NHL-Star das Nationalteam erstmals seit fünf Jahren ins Viertelfinale geführt.

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Mit dem bestem Kader seit langem hat er tagelang für mitreißende und ungewohnt kaltschnäuzige Auftritte in St. Petersburg gesorgt, bevor die Auswahl im letzten Gruppenspiel beim 4:2 (0:1, 1:0, 2:1) gegen Außenseiter Ungarn nachließ. Angesichts der sicheren K.-o.-Runden-Teilnahme konnte sie es sich leisten, sich zu schonen. Auf das Ergebnis kam es ohnehin nicht mehr an.

„Das ist ein totaler Schub“, erklärte der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, Franz Reindl, schon vorher erleichtert. „Ein Viertelfinale zu erreichen, das ist etwas Besonderes - da steckt einem schon der Kloß ein bisschen im Hals.“ Anders als gegen die Magyaren wartet am Donnerstag in jedem Fall ein Eishockey-Hochkaräter: Gespannt wird das Team am Dienstag darauf warten, ob es Gastgeber Russland, Tschechien oder Schweden wird. „In einem Spiel ist alles möglich“, behauptete Verteidiger Moritz Müller.

Das galt auch für die Ungarn. Lange taten sich die Deutschen schwer. Zudem blieb ihnen das Verletzungspech treu: Stürmer Felix Schütz fiel im ersten Drittel aus, Verteidiger Torsten Ankert reiste vorher heim. Die Personalsorgen nehmen zu.

Mit Skepsis war das Experiment mit dem Trainer-Neuling Sturm begleitet worden. Selbst Reindl zeigt sich in diesen Tagen auffällig neugierig. Überraschend oft hält er sich in der Nähe des 37-Jährigen auf, interessiert lauschend, wie der Landshuter die Spiele analysiert und sich der Öffentlichkeit präsentiert.

Sturm jedoch zeigt, was möglich ist, wenn die besten Spieler dem Ruf des Bundestrainers folgen. Das Minimalziel, in der Weltrangliste von Rang 13 nach oben zu klettern, ist bereits geschafft. „Er erreicht die Spieler. Wir wissen genau, was er von uns will“, sagte der Berliner Verteidiger Constantin Braun.

Von dermaßen zahlreichen Absagen wie sein Vorgänger Pat Cortina blieb Sturm verschont. Für fünf NHL-Profis war es selbstverständlich, dabei zu sein. So hielt das Team gar beim 2:5 mit Titelverteidiger Kanada lange mit. Der Top-Nation USA bot die Auswahl nicht nur die Stirn, sondern besiegte sie erstmals seit der Heim-WM vor sechs Jahren.

Der ernüchternde Auftakt mit zwei Niederlagen brachte die Mannschaft nicht aus der Ruhe. Mittlerweile ist das Selbstvertrauen immens gewachsen. Selbst die enttäuschende Form des großen NHL-Hoffnungsträgers Leon Draisaitl und das bittere WM-Aus des am Knie verletzten NHL-Stürmers Tobias Rieder konnten kompensiert werden. „Dass das die Mannschaft so wegsteckt - Hut ab“, sagte Sturm. „Im Großen und Ganzen ist die Mannschaft der Star.“

Er selbst hat keine Allüren, obwohl er mit 1006 Spielen in der NHL deutscher Rekordhalter ist. Als Trainer-Novize setzt er auf ein offensiveres System, aus dem über weite Strecken eine seltene Effizienz resultiert. „Wir haben gezeigt, dass wir auch spielerisch etwas lösen können - und nicht nur nach der alten Spielweise einfach die Scheibe raus und hinten reinstellen“, sagte Gogulla. Gegen die Ungarn klappte das Toreschießen lange nicht wie gewünscht. Aber nach dem 3:2 gegen die USA lag in der Abschlusseffektivität nur Vorjahreschampion Kanada vor dem WM-Außenseiter.

Im Sinne der Mannschaft löste Sturm seine Paradereihe mit den beiden NHL-Stürmern Draisaitl und Rieder sowie DEL-Topscorer Patrick Reimer auf und wich von seinen Prinzipien ab. Mitten in der Vorrunde holte er NHL-Torhüter Thomas Greiss, obwohl er das zuvor für schwierig gehalten hatte. Doch der Füssener entpuppte sich als weiteres Puzzleteil für ein funktionierendes Team. „Deutschland braucht in den wichtigen Partien einen Torhüter, der mal einen Hundertprozentigen raushaut“, sagte Gogulla. Der Kölner verglich Greiss mit dem Goalie-Helden von 2010, Dennis Endras. In Deutschland endete der Weg damals erst im Halbfinale.