Bundestrainer Sturm vor Eishockey-WM: „Halbfinale ziemlich weit weg“

Herning (dpa) - Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm steht nach Olympia-Silber bei der Weltmeisterschaft in Dänemark vor einer enormen Herausforderung. Der Kader hat sich völlig verändert, die Erwartungen sind gestiegen, die Konkurrenz ist stärker.

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Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der 39-Jährige vor dem Auftakt am 4. Mai gegen den WM-Gastgeber über seine Ziele, die Folgen des Hypes und den Nachwuchsmangel. „Wir müssen uns wieder hinten anstellen“, sagt Sturm.

Die Kehrseite nach dem Final-Einzug bei Olympia sind die gestiegenen Erwartungen vor der WM. Wie groß ist der Druck?

Marco Sturm: Generell ist Druck immer da. Aber die Situation hat sich durch den Erfolg einfach geändert, was normal ist. Trotzdem muss man auf den Teppich bleiben. Olympia kann man nicht mit der WM vergleichen. Es ist ein neuer Anfang, ein komplett anderer Kader als vor zwei Monaten. Deswegen wird es für uns enorm schwierig werden, an die Erfolge anzuknüpfen.

Wie schafft man es, Olympia für die WM aus den Köpfen der Spieler zu bekommen?

Sturm: Erstens sind viele Spieler dabei, die nicht dabei waren. Auf der anderen Seite versuche ich, das auch wegzuhalten so gut es geht. Das kann man schon mal machen für ein paar Monate, und dann hat man ja den ganzen Sommer Zeit, es zu genießen.

Zweimal nacheinander haben Sie das deutsche Team ins WM-Viertelfinale geführt. Mit welchem konkreten Ziel gehen Sie die WM in Dänemark an?

Sturm: Mein Ziel ist, unter den Top Acht in der Weltrangliste zu bleiben. Das wird schwierig genug. Wir sind Siebter, aber das kann ziemlich schnell gehen. Wir haben enorm schwere Gegner. Wenn man sich die Kader von den Kanadiern und den Amis schon mal ansieht, wird es enorm schwer, dass wir was erreichen. Wenn wir wieder nach Hause fahren und unter den Top Acht sind, dann bin ich zufrieden.

Meinen Sie allein die Weltrangliste oder das Viertelfinale?

Sturm: Die Weltrangliste. Natürlich wollen wir so viele Siege wie möglich erreichen. Wir dürfen nicht so weit denken, wir machen es wie in den letzten Jahren. Wir versuchen, von Spiel zu Spiel zu denken. Wir haben mit Dänemark einen Gastgeber im ersten Spiel, einen wirklich heißen Gegner. Das ist mein Fokus.

Ist es die größte Herausforderung, den Olympia-Erfolg bestätigen zu müssen, damit der Hype nicht gleich verpufft?

Sturm: So oder so, das wird enorm schwierig. Lieber habe ich Silber in der Tasche und habe einen solchen Druck jetzt. Das kann uns keiner mehr nehmen. Das werden wir auch so genießen. Aber ich habe mich erst neulich wieder mit Alois Schloder unterhalten, Bronzemedaillengewinner von 1976. Die haben zwei Monate später eine WM gespielt und waren 20 Sekunden weg von der B-Gruppe. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt. Aber da sieht man erst mal, dass man das einfach nicht vergleichen kann. Es ist wieder ein neues Turnier. Man muss sich den Erfolg wieder erarbeiten. Das ist für uns ein großer Test.

Wenn Deutschland ein WM-Halbfinale erreichen würde, wäre der Hype aber wohl nicht mehr zu stoppen, oder?

Sturm: Dann wäre er nicht mehr zu stoppen, stimmt. Aber man muss realistisch bleiben. Halbfinale bei einer WM, das ist ziemlich weit weg.

Wenn Deutschland nun in der Vorrunde scheitert, ist das gestiegene Interesse am Eishockey wahrscheinlich gleich wieder weg.

Sturm: Das kann man auch nicht ändern. Natürlich sind jetzt die Erwartungen höher als normal. Aber eigentlich hat sich nichts verändert, rein vom Spielerischen, vom Kader her. Wir können jetzt nur wegen Olympia-Silber nicht von heute auf morgen neue Spieler produzieren. Von daher ist es schwierig. Wir müssen uns wieder hinten anstellen und wieder täglich arbeiten, um Erfolg zu haben. Es ist natürlich schwierig, wenn sich keiner im Eishockey richtig auskennt und als normaler Fan jetzt bei Olympia dabei war. Aber das muss man gut erklären und immer wieder erwähnen, dass es bei einer WM nicht so ist.

Inwieweit bauen Sie auch junge Spieler jetzt extra ein, weil sie motivierter sind als die Silbergewinner?

Sturm: Genauso ist es. Auch wenn der eine oder andere kommen würde zur WM, weiß ich haargenau, dass sie sind nicht die Frischesten sind. Es war ein langes Jahr, und es sind wieder sieben Spiele in der Vorrunde in kürzester Zeit, da braucht man frische Leute. Aber die Qualität muss auch stimmen. Wir haben in der Breite nicht die Qualität wie manch andere Nationen.

Inwieweit fehlt es an Nachwuchs und Breite jetzt für die WM?

Sturm: Ja, das fehlt. Es braucht einfach eine gewisse Zeit. Deswegen schaut es momentan einfach ziemlich mager aus. Es ist einfach nicht gut genug. Wir haben die Anforderungen oder ich, dass wir unter den ersten Acht bleiben. Aber so wie momentan die Lage ist, haben wir in der Zukunft keine Chance. Wenn man gegen eine russische Mannschaft spielt, die ungefähr 100 Spieler von der U23 nur zur Auswahl hat, dann tut das schon weh, wenn man in Deutschland vielleicht fünf bis zehn hat. Aber das ist so, man kann es jetzt auch nicht ändern. Ich muss versuchen mit den Spielern, die ich habe, so zu arbeiten und sie so schnell zu fördern wie möglich, dass sie vielleicht schon bei der WM oder in naher Zukunft weiterhelfen.

Olympia war auch Ihr größter Erfolg. Wie groß ist für Sie die Gefahr als Trainer bei der Herausforderung des Neuanfangs in ein mentales Loch zu fallen?

Sturm: Dann hätte ich den falschen Job. Man muss immer, egal was kommt, stabil bleiben. Ich habe einige Niederlagen und harte Phasen hinter mir, auch das wird mich nicht niederbringen. Die letzten zwei, drei Jahre ist es immer nur aufwärts gegangen. Das irgendwann ein Rückschlag kommt, ist im Sport ganz normal. Ich hoffe, dass er jetzt nicht zu schnell kommt, sondern vielleicht mal irgendwann anders. Aber man muss vorbereitet sein. Ich versuche, das Beste daraus zu machen und den Sprung von Silber bis zum Neuanfang so gut wie möglich zu überbrücken.

Sie wollen in die NHL wechseln, daraus machen Sie kein Geheimnis. Wovon hängt es ab, ob Sie das Angebot annehmen? Oder wäre es gleich das erste definitiv?

Sturm: Nein, mittlerweile kenne ich mich auch drüben gut aus. Es muss schon alles passen. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Job hier. Es macht mir unheimlich viel Spaß. Ich muss auch schauen, wie es mit der Familie dann weitergeht. Wir leben jetzt erstmals alle zusammen in Deutschland. Ich habe ja beim DEB bis 2022 verlängert, das ist schon mal gut. Ich kann auch, egal wo ich bin, weiterhin Bundestrainer bleiben. Alles weitere wird man sehen. Ich hoffe, dass ich irgendwann die Chance bekomme. Aber was Konkretes gibt es nicht. Für mich ist erst einmal die WM am wichtigsten. Was sich im Sommer alles ergibt, wird man sehen. Aber momentan ist es kein Thema.

Zur Person: Marco Sturm (39) ist mit 1006 Partien deutscher Rekordspieler in der nordamerikanischen Profiliga NHL. Im Sommer 2015 wurde der Dingolfinger ohne Trainer-Erfahrung vom Deutschen Eishockey-Bund als Bundestrainer engagiert. Seitdem erlebt das deutsche Eishockey einen Aufschwung.