Eishockey-WM Das Vorbild auf der Trainerbank
Marco Sturm, der Trainer der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft ist bei seinen Spielern und den Fans sehr beliebt. Mit seiner direkten Art kommt er gut an.
Köln. So gut wie jede Eishockey-Mannschaft hat nach Siegen ein Ritual. Wenn sie zurück in der Kabine ist, wird der Spieler des Spiels prämiert. Meist darf der, dem die Ehre beim letzten Mal zuteil wurde, eine kleine Rede auf den Nachfolger halten und ihm eine Art Trophäe überreichen. Bei der deutschen Nationalmannschaft ist das ein sprichwörtlich alter Hut. Der des ebenso legendären wie streitbaren deutschen Ex-Trainers Xaver Unsinn.
Als sich die deutsche Mannschaft im vergangenen September in Lettland mit einem 3:2-Sieg über die Gastgeber für die Olympischen Spiele 2018 in Südkorea qualifizierte, war allerdings etwas anders als sonst. Zwar wurde der Pepita-Hut auch dieses Mal vergeben, am Ende trug ihn allerdings kein Spieler, sondern ein sichtlich ergriffener Trainer Marco Sturm.
Die Anekdote aus einer lettischen Kabine dürfte reichen, um zu wissen, was die deutschen Spieler von ihrem Coach halten. Selten war eine Mannschaft derart begeistert von ihrem Trainer. Dasselbe gilt auch für Funktionäre wie Fans. Seitdem Sturm das Amt vor knapp zwei Jahren übernahm, ist in der Öffentlichkeit nicht ein böses Wort über ihn gefallen. Weil er mit der geglückten Olympia-Qualifikation und dem Einzug ins Viertelfinale bei der WM 2016 in Russland ausschließlich Erfolge vorzuweisen hat. Und weil er mit seiner Art einen Nerv getroffen hat. Auch jetzt bei der Heim-WM in Köln erfährt der 38-Jährige überall Zuneigung.
Dabei war Sturm zu Beginn seiner Amtszeit mit Skepsis beäugt worden. Trotz seiner beeindruckenden NHL-Karriere mit mehr als 1000 Spielen und 250 Toren. Aber die Liste herausragender Spieler, die als Trainer nichts taugen, ist nun mal lang. Auch im Eishockey. Selbst Wayne Gretzky, der Beste der Besten aller Zeiten, war ja als NHL-Coach gescheitert. Und stand der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) nach den verpassten Olympischen Spielen von Sotschi, nach dem Umbruch im Verband und vor der Heim-WM nicht an einem Wendepunkt? Wäre es nicht Zeit für einen erfahrenen Trainer gewesen statt für einen, der bis auf ein paar Stunden mit der Kindermannschaft seines Sohnes nichts vorzuweisen hat? Der dazu noch in Florida wohnt und weit weg ist von den heimischen Eishallen?
Hätten die Deutschen Olympia erneut verpasst, Vieles hätte infrage gestanden. Nicht nur Fördergelder, auch Sponsoren. Medien und Gelegenheits-Fans hätten sich abgewandt — mit fatalen Folgen für den Nachwuchs. Das wusste auch DEB-Präsident Franz Reindl und war auf kritische Nachfragen vorbereitet. Erfahrung als Trainer sei nicht so wichtig wie Ausstrahlung, sagte Reindl, der sein Amt ja ebenfalls erst kurz zuvor übernommen hatte und auch den sportlichen Neuanfang wollte. Weg vom sperrigen Pat Cortina, hin zu einem ehemaligen NHL-Spieler, zu dem die aktuelle Spielergeneration aufblickt, weil er früher ihr Vorbild war. Und der wieder offensiver, schneller und attraktiver spielen lässt.
Die Entscheidung fiel auf Sturm. Der stehe für Emotionen, hieß es, der könne motivieren und die vielen Spieler, die in den Vorjahren einen großen Bogen um die Landesauswahl gemacht hatten, zurückholen. Was ihm am Coaching-Kompetenz fehle, könne er sich ja dazu holen, sagte Reindl. Was Sturm vom ersten Tag an tat — vor allem alte Weggefährten. Ob Christian Künast oder Tobias Abstreiter, ob den Kanadier Geoff Ward oder nun den Schweden Mikael Samuelsson. Mit all denen hat Sturm eine gemeinsame Vergangenheit.
Dass er von deren Know-How profitiert, daraus macht er kein Geheimnis. Auch wenn er gleichzeitig Trainer, Manager und das Gesicht des Teams für die Öffentlichkeit ist, Sturm würde nie behaupten, dass die Nationalmannschaft eine One-Man-Show ist. Selbst jetzt in Köln steht er auch mal für Minuten wie eine Art Aufsichtsperson an der Mittellinie, während die Assistenten die Übungen erklären und durchführen.
Sturm sieht sich wie seine Mannschaft: am Anfang einer Entwicklung. Nach der WM 2016 sagte er: „Es hat einen Riesenspaß gemacht. Ich habe viel gelernt und kann mich nur bei der Mannschaft bedanken.“ Vor der Heim-WM sagte er nun: „Wir wollen uns weiterentwickeln, von Woche für Woche, von Spiel zu Spiel, von Turnier zu Turnier. Wir sind noch nicht am Ende.“ Vor allem er selbst nicht.
Eine Entwicklung ist aber bereits zu beobachten. Sturm wirkt zwar immer kontrolliert und charmant — selbst spät abends nach herben Niederlagen im Presseraum, wenn er die Fragen der Reporter auf Deutsch oder perfektem Englisch beantwortet. Aber er scheut sich nicht vor klaren Aussagen. Nach der Hälfte der DEL-Saison sagte er, dass er derzeit nicht viel vom Niveau der heimischen Liga halte. Dass Deutschland international den Anschluss verloren habe und mehr in die Jugend investieren müsse. Und wenn jemand mit populistischen Forderungen daherkommt und sagt, es liege an den vielen Ausländern in der DEL, tritt Sturm dem offensiv entgegen: Eine Reduzierung allein helfe niemandem, erst mal brauche Deutschland wieder mehr gute Spieler.
Auch vor unpopulären Maßnahmen hat er keine Angst: Vor dem Turnier strich er den langjährigen Nationaltorwart Dennis Endraß aus dem Kader. Nach den deutlichen Niederlagen gegen Schweden (2:7) und Russland (3:6) suchte er keine Ausreden, sondern sprach die Fehler seines Teams an. Vor allem die Undiszipliniertheit von Patrick Hager, der nach einem bösen Foul für zwei Spiele gesperrt wurde. Auch den Torwartfehler von Danny aus den Birken gegen die Slowakei (3:2) benannte er klar.
Böse ist ihm deswegen niemand. Kein Fan, kein Franz Reindl, der den Bundestrainer lobt, wo es nur geht, und kein Spieler. Es wäre keine Überraschung, wenn Marco Sturm in den kommenden Tagen mal wieder den alten Hut seines berühmtesten Vorgängers überreicht bekäme.