Deutschland bei der Eishockey-WM: Chancen, Ziele und viele neue Spieler
Auf die runderneuerte DEB-Auswahl warten beim WM-Turnier harte Brocken, die mit NHL-Prominenz antreten. Deutschland tritt hingegen mit vielen neuen Gesichtern an - eine Analyse.
Herning. Wer Marco Sturm dieser Tage im dänischen Herning beobachtet, sieht einen entspannten Bundestrainer. Stets höflich im Umgang mit den Reportern, im Training zwar fordernd, aber vor allem motivierend. Von Nervosität oder Unbehagen ist nichts zu spüren, dabei kann Sturm bei der am Freitag beginnenden Eishockey-Weltmeisterschaft in Dänemark eigentlich nur verlieren. Zumindest, wenn er am Abschneiden seiner Mannen in Südkorea gemessen wird. Dort gewann die Nationalmannschaft vor knapp zehn Wochen Silber. Es war der größte Erfolg in der Geschichte des deutschen Eishockeys.
Seitdem hat Marco Sturm merkwürdige Monate erlebt. Mal ist er Botschafter, mal Mahner, hin und wieder sogar Kritiker — vor allem, wenn es um die heimische Jugendarbeit geht. Die meiste Zeit war er aber damit beschäftigt, die neue Euphorie zu nutzen, Eishockey steht ja selten im Fokus der Öffentlichkeit. Also reiste der Trainer durchs ganze Land, gab Interviews in Presse, Funk und Fernsehen, schüttelte Hände und lächelte bei Empfängen und Ehrungen in Kameraobjektive. Doch bei aller Freude über den historischen Medaillengewinn darf Sturm die Erwartungen nicht zu groß werden lassen. Das nächste Turnier steht ja vor der Tür. Und dass es so erfolgreich weitergeht wie bei Olympia, ist eher nicht zu erwarten.
„Wir müssen uns wieder hinten anstellen“, sagte Sturm am Donnerstag vor der am Freitag beginnenden WM. Zum Auftakt trifft die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes am Abend (20.15 Uhr/Sport1) auf Gastgeber Dänemark. Das sowie das Spiel am Sonntag (16.15 Uhr) gegen Norwegen gelten bereits als vorentscheidend auf dem möglichen Weg ins Viertelfinale.
Das weiß auch Sturm, der sagt: „Der Spielplan ist dieses Mal so, dass die harten Brocken zum Schluss kommen. Deswegen ist es für uns nicht nur morgen enorm wichtig, wir müssen die erste Woche generell gut überstehen, um mit einem guten Gefühl und Selbstvertrauen in die schweren letzten Spiele zu gehen.“
Im Eishockey machen sie ja keinen Hehl daraus, dass der WM-Gastgeber den Spielplan erstellt — und an seine Bedürfnisse anpasst. Vergangenes Jahr machten das die Deutschen, dieses Jahr halt die Dänen. Eine alte Regel für Außenseiter lautet, sich die vermeintlich leichten Gegner auf die letzten Spieltage der Gruppenphase zu legen, während die direkte Konkurrenz dann gegen die Topteams ran muss. Wenn die Dänen am Ende also auf Südkorea und Lettland treffen, stehen die Deutschen Finnland und Kanada gegenüber. Zwei Spiele, in denen es normalerweise nichts zu holen gibt, die Punkte für den Einzug ins Viertelfinale sollten sie schon vorher gesammelt haben. Drei davon am besten gleich Freitagabend.
Doch das wird nicht einfach. Erstens hat sich Dänemark — im Gegensatz zu den Nachbarn aus Schweden keine Großmacht im Pucksport — enorm entwickelt. Zweitens hat die deutsche Mannschaft ein neues Gesicht. Routiniers wie Christian Ehrhoff, Marcel Goc und Patrick Reimer sind zurückgetreten, andere wie Torhüter Danny aus den Birken, Markus Kink oder Felix Schütz haben abgesagt.
Aus dem Olympia-Kader sind nur noch zehn Spieler in Dänemark dabei. Dafür hat Sturm neun Debütanten mitgenommen und sagt: „Es wäre ein Erfolg, unter den Top Acht zu bleiben.“ Dafür muss sein Team das Viertelfinale erreichen.
Helfen soll dabei Personal aus Nordamerika. NHL-Profis wie Leon Draisaitl, Dennis Seidenberg und Korbinian Holzer, aber auch Spieler aus unterklassigen Ligen wie Frederik Tiffels und Markus Eisenschmid sowie Marc Michaelis aus der College-Liga NCAA. Sturm, als Aktiver 14 Jahre in der NHL unterwegs, steht auf Spieler aus Übersee. Selbst wenn sie dort nicht die erste Geige spielen, können sie mit denen aus der Deutschen Eishockey Liga mithalten.
Auch Abwehrchef Dennis Seidenberg lässt sich nicht Bange machen: „Wir haben viele Neulinge dabei, der Kader hat sich sehr geändert, aber unser System und die Trainer haben sich nicht geändert“, sagt der 36-Jährige von den New York Islanders. Leon Draisaitl traut den Neuen ebenfalls zu, die Lücken der Alten adäquat zu schließen. Niemand werde am Freitag mit „zitternden Händen und Füßen rumlaufen, die haben alle schon wichtige Spiele gespielt“. Draisaitl, der talentierteste deutsche Eishockey-Spieler seit Jahrzehnten, hat noch etwas anderes gesagt: Trotz Olympia sei Deutschland „immer noch ein kleines Eishockey-Land, es gibt immer noch viele Länder, die um einiges besser sind“. Und die deutlich mehr NHL-Prominenz dabei haben. Bei Olympia hatte die noch gefehlt, weil die beste Liga der Welt nicht pausieren wollte.
Schaffen es die Deutschen trotzdem unter die letzten Acht, wäre das als Erfolg zu werten. Selbst, wenn sie dann ausscheiden. Dann läge es an Sturm, zu erklären, warum ein schlechteres Abschneiden als bei Olympia trotzdem kein Rückschritt wäre.