Chicago Blackhawks: Ein NHL-Team schockt sich selbst

Chicago (dpa) - Die Chicago Blackhawks sind in der NHL derzeit das Maß aller Dinge. Das mit Abstand punktbeste Team sammelte in dieser Saison bereits einen Rekord nach dem anderen. Längst ist der viermalige Sieger des Stanley Cups auch außerhalb der Eishockey-Szene in aller Munde.

Jüngst verneigte sich sogar der König. „Hey Chicago Blackhawks, ihr Jungs seid FANTASTISCH!!“, twitterte LeBron James, Basketball-Superstar mit dem Spitznamen „KingJames“, voller Anerkennung. Mit seinen Miami Heat hatte er gerade das 16. Spiel in Serie gewonnen - und steht in Nordamerika dennoch derzeit ein wenig im Schatten der Kufencracks aus Chicago um Trainer Joel Quenneville.

Als die Blackhawks die Colorado Avalanche niederrangen, baute die Truppe ihre beeindruckende Serie in der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga NHL auf 24 Spiele aus: Zur Halbzeit der Vorrunde hatte Chicago immer noch keine Partie nach regulärer Spielzeit verloren. Vor dem Match in der Nacht auf Samstag in Colorado standen 21 Siege aus 24 Spielen zu Buche - gegen Minnesota, Vancouver und Anaheim unterlag Chicago zwar im Shootout, bekam aber für das Remis nach 60 Minuten einen Zähler.

„Wir sind froh, geschockt und überrascht“, meinte der Coach. „Natürlich willst du optimistisch eine Saison angehen, also schaust du auf fünf oder zehn Spiele. Aber das Ding hier ging immer weiter.“

Saisonübergreifend ist die Serie der jungen Truppe um Topscorer Patrick Kane noch imposanter, denn auch in den letzten sechs Vorrunden-Begegnungen der Spielzeit 2011/12 blieb der Meister von 2010 nach 60 Minuten unbesiegt - hatte also vor dem Spiel in Colorado seit 30 Partien immer mindestens einen Punkt geholt.

„Diese Serie hat viele entzückt, ganz Chicago ist fasziniert, und ich denke, es ist eine riesige Story in ganz Nordamerika, wenn man so in eine Saison startet wie die Blackhawks“, sagt Eddie Olczyk. Der Ex-Profi und heutige TV-Experte kennt den Pulsschlag in der Metropole am Lake Michigan ganz genau, wurde 1966 hier geboren. Als Olczyk Mitte der 80er Jahre das Chicago-Trikot mit dem Indianerkopf trug, dominierten Wayne Gretzkys Edmonton Oilers die Liga. „The Great One“ hat damals mit seinem Verein viele Rekorde aufgestellt, aber eine Serie wie jene der Blackhawks gelang selbst Edmonton nie.

„Egal, wer derzeit unser Gegner ist, jeder sieht das Spiel gegen Chicago als das Wichtigste an“, fand Quenneville, dessen „Hawks“ am Mittwoch fast beiläufig mit elf Siegen nacheinander auch einen Vereinsrekord aufgestellt hatten. Eine NHL-Bestmarke bleibt aber noch in weiter Ferne: Die Philadelphia Flyers holten in der Saison 1979/80 in 35 Spielen nacheinander mindestens einen Punkt. Damals war bis auf Michal Rozsival, Steve Montador, Jamal Mayers und Marin Hossa übrigens noch kein Spieler des aktuellen Blackhawks-Kaders geboren.

Selbst die ganz hart gesottenen Fans müssen etwas länger nachdenken, um sich an die letzte Vorrunden-Niederlage nach regulärer Spielzeit zu erinnern. Am 25. März verlor Chicago gegen Nashville 1:6. Doch das ist in der „Windy City“ genauso vergessen wie der letzte Schneesturm. „Viele denken wahrscheinlich, dass wir voll an unsere Leistungsgrenze gehen müssen, aber wir können noch viel mehr“, tönte Kapitän Jonathan Toews. Bereits im Februar meinte Rookie Brandon Saad unbeeindruckt: „Wir haben nichts anderes erwartet.“

Doch niemand verschweigt bei den Blackhawks, dass auch Glück zu einer solchen Serie gehört. Sieben Partien entschied die Mannschaft in der Verlängerung oder im Penaltyschießen für sich. In Calgary rettete Hossa Chicago mit dem 2:2 drei Sekunden vor der Schlusssirene in die Overtime - der Sieg folgte im Penaltyschießen. Am Mittwoch schoss Dan Carcillo 50 Sekunden vor dem Ende das 3:2 gegen Colorado.

Längst wurden nicht nur Vergleiche zur Meistermannschaft von 2010 angestellt, sondern Experten beschäftigten sich sogar mit der Wahrscheinlichkeit einer Serie von 48 Spielen mit mindestens einem Punkt. Mathematik-Professor Richard J. Cleary von den Bentley Universität im Bundesstaat Massachusetts sieht diese bei 1:1000. Immerhin, deutlich höher als die Chance eines Lottogewinns.