„Ring frei“: NHL-Playoffs so rau wie lange nicht
Boston (dpa) - Fliegende Fäuste, krachende Checks und mitunter sogar kollektive Keilereien - dass es in den Playoffs der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL hart zur Sache geht, ist bekannt. In diesem Jahr hingegen scheint die Fairness immer mehr zum Unwort zu verkommen.
Gegenspieler werden mit dem Kopf vorweg in die Banden geknallt, bekommen Ellenbogen ins Gesicht, oder gar den Schläger an den Kehlkopf gedrückt. „In all' meinen Jahren habe ich noch nie eine erste Runde mit so vielen Problemen für die Liga gesehen“, betont Neil Smith, einst Manager der New York Rangers und heutiger TV-Experte.
In den ersten 19 Playoff-Partien gab es 724 Strafminuten - so viele, wie seit 2006 nicht mehr - und an sechs Tagen elf Spieldauer-Disziplinarstrafen, fünf mehr als in der gesamten Ko-Runde 2011. Von den 13 Schlagzeilen am Dienstag auf der NHL-Internetseite handelten sechs von Spielsperren oder Verletzungen. Dabei ist die Liga, allen voran ihr Ober-Disziplinar Brendan Shanahan, seit dieser Saison bemüht, die Sicherheit der Spieler in den Vordergrund zu stellen und beispielsweise Stöße zum Kopf oder Nacken hart zu sanktionieren. Der Auslöser für diese Linie waren die Todesfälle von drei Profis im vergangenen Jahr, die als Fighter oder sogenannte Enforcer galten.
In der Vorrunde ging es tatsächlich friedlicher zu, in den Playoffs hingegen ist das Animalische in die Arenen zurückgekehrt. „Gütigeres, behutsameres Eishockey? Das ist, als wenn man eine fettfreie Pizza bestellt - unpraktisch“, schrieb die „USA Today“. Höhepunkt war bislang die dritte Partie zwischen den Philadelphia Flyers und den Pittsburgh Penguins. Mit 158 Strafminuten haben beide Erzrivalen eindrucksvoll belegt, warum ihre Duelle als „Schlacht von Pennsylvania“ gelten. „Das ist eine Riesenrivalität, da geht's halt zur Sache“, sagt Dennis Seidenberg von Meister Boston Bruins gegenüber der Nachrichten-Agentur dpa.
Selbst die Stars, Sidney Crosby und Claude Giroux, prügelten aufeinander ein - obwohl beide in dieser Saison mit Gehirnerschütterungen lange ausfielen. „Das sind die Playoffs“, meinte Crosby lapidar. „Ich fand's großartig“, ergänzte Flyers-Trainer Peter Laviolette. „Zwei der besten Spieler der Welt lassen die Handschuhe fallen und prügeln sich. Das ist doch echtes Playoff-Eishockey nicht wahr?“ Im Gegensatz zur Deutschen Eishockey-Liga, WM oder Winterspielen gehören Schlägereien in der NHL dazu. Umfragen haben immer wieder gezeigt, dass einige Fans nur aufgrund der Fights in die Hallen kommen.
In den Playoffs jedoch gibt es für gewöhnlich weniger Keilereien, denn niemand will sein Team durch eine dumme Strafe in Unterzahl bringen. Daher ist neben Muskelkraft vor allem mentale Stärke gefragt. „Es gibt viele Psycho-Spielchen“, so Seidenberg. Schubsen, Stoßen, Schieben und „Trash-Talk“ sind Alltag. Doch wenn Nashvilles Shea Weber Detroits Henrik Zetterberg in den Schwitzkasten nimmt und ihn gegen die Plexiglasscheibe rammen will, geht's selbst für den NHL-gestählten Red Wings-Trainer Mike Babcock zu weit. „Das ist unakzeptabel.“
Als die Liga Weber nicht sperrte, „kümmerte“ sich Detroit selbst um die Sache - obwohl der Verein seit acht Jahren die wenigsten Prügeleien der Liga aufweist und keinen echten Enforcer hat. Die zweite Partie war kaum eröffnet, da schnappte sich Todd Bertuzzi Weber und rächte seinen Teamkollegen. Es mag durchaus etwas von den Gladiatoren-Kämpfen im alten Rom haben, wenn auf dem Eis die Fäuste fliegen und ringsherum zehntausende Menschen euphorisch von den Sitzen springen. Für die „Entertainer“ ist es jedoch alles andere als Show. Seidenberg: „Wir machen es nicht zur Unterhaltung, sondern um uns einen Vorteil zu verschaffen. Der Stärkere setzt sich am Ende durch.“