Vor WM-Duell mit Kanada: Draisaitl als Sorgenkind

St. Petersburg (dpa) - Schon die Frage an Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm sprach Bände. „Was ist eigentlich mit Draisaitl los? Ist er verletzt?“, wollte ein internationaler Journalist bei der WM in Russland wissen.

Nein, verletzt ist der 20-Jährige nicht.

Doch Toptalent Leon Draisaitl ist momentan das Sorgenkind im deutschen Nationalteam. Dank der wieder vorhandenen Viertelfinalchance hat sich die Stimmung in der deutschen Auswahl vor dem WM-Duell mit Titelverteidiger Kanada am Donnerstag (19.15 Uhr) zwar zum Positiven gewendet. Draisaitl aber hat die riesigen Erwartungen und die Rolle eines Anführers noch nicht erfüllt.

„Ich spiele nicht gut“, gestand der Stürmer nach dem 5:1 gegen die Slowakei etwas geknickt ein. „Ich bin persönlich noch nicht zufrieden mit mir.“ Möglicherweise motiviert den Center der Edmonton Oilers das Aufeinandertreffen mit den Stars aus seiner Wahlheimat besonders. Vielleicht ruft die Partie gegen seine Oilers-Teamkollegen - die Stürmer Taylor Hall und Connor McDavid sowie Torhüter Cam Talbot - eine Leistungssteigerung hervor. Vielleicht klappt es gerade gegen den 25-maligen Champion, weil Deutschland als chancenlos gilt und völlig befreit aufspielen kann.

Für die folgenden, entscheidenden Partien im Kampf um ein Viertelfinal-Ticket benötigt Bundestrainer Marco Sturm eigentlich einen Draisaitl in Topform. In St. Petersburg sollte und wollte der Kölner als Spieler auftreten, der den Unterschied macht. Noch hat er nicht getroffen, lediglich zwei Tore vorbereitet. WM-Debütant und Kumpel Dominik Kahun ist der Youngster, der Wirbel ins Spiel bringt. Draisaitl zeigte seine viel gepriesene Spielübersicht nur ansatzweise. „Er hat die Umstellung noch nicht ganz geschafft“, meinte der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, Franz Reindl. „Es ist für ihn ein bisschen eine neue Welt mit neuen Mitspielern.“

Die Welt, in der sich Draisaitl zuletzt so wohl gefühlt hat, ist die der NHL. Bei den Oilers etablierte er sich in dieser Saison als eine feste Größe. In den nächsten Jahren soll der Deutsche einer derjenigen sein, die den fünfmaligen Stanley-Cup-Sieger zu Erfolgen wie in der Vergangenheit führt. Medien in Nordamerika nennen den Sohn des früheren Nationalspielers Peter Draisaitl auch „The German Gretzky“, nach der kanadischen Eishockey- und Oilers-Legende Wayne Gretzky. Der Spitzname stammt aus der Zeit, als sich Draisaitl als Junior in Kanada für die große Karriere trimmen ließ.

Noch immer sei Draisaitl ein „Kid“, sagte Bundestrainer Marco Sturm, mahnte aber bereits: „Unsere besten Spieler müssen die besten Spieler sein. Ich glaube, dass sie auch wissen, dass sie noch einen drauflegen müssen.“

Druck, zu gewinnen, hat seine Truppe am Donnerstag überhaupt nicht. Die Kanadier spielen bislang in einer anderen Liga und rauschten mit 20:2-Toren in drei Partien durch das Turnier. „Die Kanadier spielen perfektes Eishockey“, schwärmte Reindl.

Bloß nicht wieder ein Debakel wie 2015, mag mancher denken. In Prag wurden die Deutschen mit 0:10 gedemütigt, es war die höchste WM-Pleite gegen Kanada seit 48 Jahren. Von Anfang an klein beigeben wollen die Außenseiter natürlich dennoch nicht. „Wir gehen mit Sicherheit nicht in das Spiel rein und sagen: 'Jungs, hier habt ihr vier Tore'“, sagte Stürmer Philip Gogulla. „Wir gehen schon in das Spiel rein und versuchen, was zu holen.“