„Erfurter Liste“ sorgt für Aufregung
Bonn (dpa) - Die Doping-Affäre um den Erfurter Sportmediziner Andreas Franke wird für den deutschen Leistungssport immer bedrohlicher.
Die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) hat angekündigt, in 28 weiteren Fällen die Einleitung sportgerichtlicher Verfahren zu prüfen, zahlreiche prominente Top-Athleten fürchten um ihren Ruf.
„Erfurt ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir in Deutschland ein System haben, in dem so etwas aufgedeckt wird“, sagte DOSB-Präsident Thomas Bach in Stuttgart und erklärte: „Wir müssen noch stärker das Augenmerk auf die Hintermänner legen, auf die Dealer, in diesem Fall auch auf die Ärzte, um diesen Sumpf trockenzulegen.“ Der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes betonte die „Notwendigkeit, die Null-Toleranz-Politik gegen Doping jeden Tag zu leben und zu zeigen“.
„Selbstverständlich prüfen wir mit aller Gewissenhaftigkeit in jedem einzelnen Fall die mögliche Anwendung verbotener Methoden, ganz gleich, ob es sich dabei um Olympiasieger oder Nachwuchssportler handelt“, erklärte die NADA-Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann. Sportarzt Franke soll in seinen Praxisräumen das Blut von Athleten einer UV-Behandlung unterzogen haben - angeblich, um Infekten vorzubeugen. Die Erfurter Staatsanwaltschaft sieht darin allerdings einen „Anfangsverdacht der unerlaubten Anwendung von Arzneimitteln bei anderen zu Dopingzwecken“.
Franke selbst setzte sich am Montag erneut zur Wehr. „Aus medizinischer und juristischer Sicht ist die Darstellung falsch, dass es sich bei der UVB Blutbestrahlung um Doping handeln könnte“, schrieb er in einer vierseitigen Erklärung. Der Arzt betonte, „dass eindeutig und unstreitig die von mir seit Jahren bei meinen Patienten angewandte Infektbehandlungsmethode bis zum 24.08.2011 dopingrechtlich unbedenklich war“. Die NADA habe seine Methode bei einer Anfrage 2007 „nicht als Doping klassifiziert“. Seine Methode habe „keinerlei leistungssteigernde Wirkung“.
Von den Stars, die laut eines ARD-Berichts in der Sportschau auf der „Erfurter Liste“ stehen sollen, wollte sich keiner direkt dazu äußern. Auch der Erfurter Olympiasieger Nils Schumann nicht. „Ich halte das Ganze für Humbug“, sagte der 33-Jährige der dpa. „Wenn sich Jahre nach meiner Sportlerkarriere irgendwelche Dopingstatuten verändern, dann kann und will ich das aus heutiger Sicht nicht weiter bewerten. Ich selbst habe niemals verbotene oder auch fragwürdige Behandlungsmethoden genossen und distanziere mich davon ausdrücklich“, erklärte der Thüringer Leichtathlet, der 2000 in Sydney Gold über 800 Meter gewonnen hatte.
Bernd Neudert, Leiter des Olympiastützpunktes Thüringen, erklärte der dpa, dass er bereits 2007 in einem Brief an die NADA „haarklein“ über die UV-Bluttherapie von Franke berichtet und um eine Stellungnahme gebeten habe, ob diese Methode zulässig ist. „Ich habe bis heute keine Antwort erhalten - auch auf Nachfragen nicht“, behauptete Neudert. NADA-Sprecher Berthold Mertes widersprach dem, bestätigte den Eingang der Neudert-Mail vom 4. Juni 2007 um 15.57 Uhr und berichtete, dass die Antwort bereits 40 Minuten später erfolgt sei. In der Antwort habe die NADA darauf hingewiesen, „sich immer strikt gegen eine Eigenblutbehandlung ausgesprochen“ zu haben.
Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein, die laut ARD ebenfalls zu Frankes Patienten gehören soll, ließ über ihr Management verlauten: „Wie ja bereits bekannt ist, bin ich weder Betroffene der staatsanwaltlichen Ermittlungen noch der daraus resultierenden Verfahren der NADA. Von daher bitte ich um Verständnis, dass ich mich im Rahmen von Verfahren, die sich zum Teil gegen eine meiner Teamkolleginnen richten, nicht äußern werde.“ Die 39 Jahre alte Berlinerin bekräftige erneut, in ihrer Karriere „niemals zu unerlaubten Mitteln oder Methoden“ gegriffen zu haben.
Die Behörden in Erfurt ermitteln seit Frühjahr 2011 gegen Franke wegen des Verdachts, zu Dopingzwecken gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen zu haben. Nach dem Code der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ist Athleten jede Manipulation oder Transfusion ihres Blutes verboten. Franke selbst behauptet jedoch, seine Methode sei als präventive Infektbehandlung zulässig. Die leistungsfördernden Auswirkungen der UV-Behandlung gelten als umstritten. Der Leiter des Dopingkontrolllabors in Kreischa, Detlef Thieme, sieht darin kein wirksames Dopingmittel. „Das ist mehr im Bereich des medizinischen Okkultismus angesiedelt“, sagte Thieme dem Rundfunksender „MDR Info“.
Die NADA hat inzwischen weitere Akteneinsicht im Fall Franke erhalten, der von 2006 bis 2011 Vertragsarzt am Olympiastützpunkt (OSP) Thüringen in Erfurt war. „Wir erhoffen uns aus den neuen Unterlagen weitere Anhaltspunkte, um entscheiden zu können, bei welchen Sportlern wir weiter vorgehen“, sagte Andrea Gotzmann.
Vorwürfe, seit Jahren von den mutmaßlichen Verstößen gewusst und nichts unternommen zu haben, weist die NADA zurück. Seit Aufnahme der behördlichen Ermittlungen Ende November 2009 arbeite sie mit den staatlichen Behörden zusammen, heißt es in der Mitteilung. Seit der Hausdurchsuchung in der Praxis des Arztes im April 2011 „treibt die NADA die Aufklärung möglicher Dopingverstöße in diesem Zusammenhang so intensiv und schnell voran, wie es ihr juristisch möglich ist“.
Die SPD-Politikerin Dagmar Freitag forderte für Mediziner den Entzug der Approbation bei Beihilfe zum Doping. „Das wäre ein scharfes Schwert, wenn einem Arzt dafür die berufliche Grundlage entzogen würde“, sagte die Vorsitzende des Bundestags- Sportausschusses am Montag. Freitag kündigte an, die Doping-Affäre am 21. März auf die Tagesordnung des Gremiums zu setzen.