Weitere Fanproteste erwartet: „Hallo, wir sind da!“
Frankfurt/Main (dpa) - Das Sicherheitskonzept ist durch, der Frieden im deutschen Fußball muss aber erst wieder hergestellt werden. Nachdem die 36 Proficlubs das umstrittene und modifizierte Sicherheitskonzept abgesegnet haben, sind weitere Proteste in den Bundesliga-Stadien geplant.
„Ja, die wird es geben, auch weil die Debatte im Vorfeld so symbolisch überhöht war und das Ergebnis aus Fan-Perspektive nicht zufriedenstellend ist“, sagte Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), der Nachrichtenagentur dpa.
Gabriel geht davon aus, dass der Widerstand auch weiterhin beeindruckend und konstruktiv sein wird. „Das bedeutet: Hallo, wir sind da, wir wollen eingebunden und ernst genommen werden. Das ist der Subtext, der in den Protesten steckt. Wir hoffen, dass dieses Signal angekommen ist“, erklärte er. Der Sprecher der „12:12“-Kampagne in Dortmund warnte vor einer Trotzreaktion radikaler Fans. „Damit werden die Hardliner bestätigt, die sagen, wir müssen radikaler vorgehen“, sagte Jan-Henrik Gruszecki der Nachrichtenagentur dpa. „Das wäre das Dümmste, was passieren könnte. Aber es ist natürlich schwer zu argumentieren, warum sollten wir uns zurückhalten, wenn die sowieso mit uns machen, was sie wollen.“
Der sichtlich erleichterte Ligapräsident Reinhard Rauball hatte nach der Mitgliederversammlung am Mittwoch in Frankfurt/Main versprochen: „Wir werden die Prävention und den Dialog weiter verbessern, das steht klar im Vordergrund.“ Der bezahlte Fußball wird sich zudem mit weit mehr als den bisher 3 Millionen Euro jährlich an Fanprojekten beteiligen, die Politik hatte 10 Millionen gefordert. Eine konkrete Summe nannte Rauball nicht. „Es hat keinen Zweck, dass wir unsere Beiträge signifikant erhöhen und sich die öffentliche Hand zurückzieht“, meinte der Präsident von Meister Borussia Dortmund.
Die 600 Fans aus verschiedenen Vereinen, die bei Eiseskälte stundenlang vor dem Tagungshotel ausgeharrt hatten, gaben sich - bis auf einen Böllerschuss - friedlich. „Ich gehe davon aus, dass ab morgen, wenn der letzte Spieltag der Hinrunde beginnt, auf jeden Fall noch einmal zwölf Minuten und zwölf Sekunden geschwiegen wird“, sagte Philipp Markhardt, Sprecher von „ProFans“ und der „12:12“-Kampagne am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Alles weitere müsse man in der Winterpause sehen. Mit der von der Ultra-Szene initiierten Schweigeaktion hatten Anhänger an den vergangenen drei Spieltagen beeindruckt.
Über die bevorstehende Winterpause dürfte so mancher Funktionär heilfroh sein. Denn in den vergangenen Monaten wuchs die Kluft zwischen den Großverdienern und Entscheidern an der Spitze der Proficlubs und Verbände sowie den Anhängern in den Kurven. „Der Ligaverband muss jetzt den Fans erst einmal vermitteln, dass sie großen Anteil daran hatten, dass die Maßnahmen moderater als ursprünglich geplant ausfallen“, sagte Axel Hellmann. Das Vorstandsmitglied von Eintracht Frankfurt saß in der Kommission, die den ersten, so hart kritisierten Entwurf ausgearbeitet hatte.
Die Maßnahmen wurden teilweise noch einmal abgeändert. Künftig wird jedenfalls der Ordnungsdienst „seine“ Fans teilweise auch bei Auswärtsspielen begleiten. Die Arbeit der Fan- und Sicherheitsbeauftragten wurde genau festgelegt. Auch die Sportgerichtsbarkeit soll weiterentwickelt werden, damit es nicht nur Geldstrafen vom DFB hagelt, sondern präventiv gearbeitet wird. Die Kontrollen von Fans an den Stadioneingängen - ein besonders heikles Thema - sollen nun „insbesondere verhältnismäßig“ sein. Und über eine Reduzierung von Gästetickets kann zwar der Heimatverein entscheiden - aber nur bei einer besonderen Gefahrenlage und nach Anhörung des Auswärtsclubs.
Viel zu spät hatten Ligaverband und DFL damit begonnen, die Fans ernsthaft in das Projekt mit einzubeziehen. Das Abschlusskonzept wurde erneut modifiziert. „Dieses Papier ist mit dem Papier vom Anfang nicht zu vergleichen, da haben die Fans einen großen Anteil daran“, sagte Hellmann. Aus Sicht von Gerd E. Mäuser, der sich als Präsident des VfB Stuttgart lange gegen den Maßnahmenkatalog gewehrt hatte, wurde das Arbeitspapier „stark verändert und das begrüßen wir ausdrücklich“. Für Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen steht in dem Konzept am Ende „nichts, was es in der Vergangenheit nicht auch gegeben hat“.
Am Ball sind jetzt also die Fans - und die Vereine. „Es wäre nicht ehrlich, wenn man sagen würden: Der Ligaverband spricht jetzt mit den Fans“, erklärte Christian Seifert, der Vorsitzende der DFl-Geschäftsführung, „wenn sie mit fünf sprechen, sprechen sie mit sieben anderen nicht. Die Clubs sind hier gefordert, ihre Hausaufgaben zu machen.“ Für Rauball sind die verabschiedeten Beschlüsse „Leitplanken“, die jeder einzelne Verein nach regionalen Begebenheiten umsetzen könne. Deshalb wird es auch im neuen Jahr Regionalkonferenzen geben.
Ganz anders sieht dies Carl-Edgar Jarchow, der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV. Er kritisierte das Sicherheitskonzept mit drastischen Worten: „Das ist ein aktionistisches Getue, das den wahren Problemen nicht gerecht wird.“ Die Gewalt liege außerhalb der Stadien, beispielsweise bei der Anreise der Fans - und das müssten andere in den Griff bekommen, nicht die Vereine. „Ich muss doch nicht in die Falle tappen, die uns die Politik stellt“, erklärte der Hamburger FDP-Politiker.
Joachim Löw hofft, dass sich die angespannte Lage beruhigt. „Ich finde das in Ordnung, dass sich die Liga zusammengetan hat“, sagte der Bundestrainer am Donnerstag beim Besuch einer Grundschule in Berlin. „Fußball ohne Sicherheit ist nicht möglich. Ich denke, dass die Stimmung in den Stadien nicht leidet unter diesen Sicherheitsmaßnahmen. Da müssen wir die größte Aufmerksamkeit hinlenken, auch außerhalb der Stadien.“
Ein generelles Sicherheitsproblem habe der Fußball nicht, hatte Rauball zu Beginn der Pressekonferenz nach der Versammlung erläutert, „wohl aber an einigen Stellen Optimierungsbedarf.“ Der Ligachef ist erfahren genug zu wissen, dass es ein längerer Prozess ist: „Das Brett ist zu dick, um das heute durch eine Entscheidung des Ligaverbandes zu lösen.“