Gladbachs Pokal-Gegner BVB-Trainer Lucien Favre, der Unverstandene
Mönchengladbach · Vor dem Pokalspiel gegen Borussia Mönchengladbach hat Dortmunds Trainer den Rückhalt im Verein offenbar verloren. Zum Verhängnis wird Favre seine Art, die absehbar nicht zum BVB passt.
Wäre Borussia Mönchengladbach in diesen Tagen nicht gerade Tabellenführer der Fußball-Bundesliga, wäre das jetzt alles noch ein bisschen kurioser: Dann wäre am Niederrhein womöglich gerade Unzufriedenheit ausgebrochen und am Mittwochabend (20.45 Uhr/ARD), wenn Gladbach in Dortmund in der zweiten DFB-Pokalrunde antritt, würden die Anhänger vielleicht am liebsten den Dortmunder Trainer Lucien Favre gleich mit zurück an den Niederrhein nehmen. Dorthin, wo Favre von 2011 bis 2015 so erfolgreich wirkte, ehe ihn einige wenige Niederlagen zum Start seiner fünften Gladbach-Saison aus dem seelischen Gleichgewicht brachten. Und er gegen den Willen der Vereinsoberen davon lief. Dorthin, wo die Anhänger und Journalisten trotzdem noch heute von Monsieur Favre schwärmen: vom Gentleman mit dem gewissen Etwas, vom irren Genie, vom kruden Bessermacher. Neuerfinder einer ganzen Mannschaft. Nur ein Favre-Denkmal fehlt hier noch. Und das ist wirklich erstaunlich, wo doch das Museum schon da ist.
Dortmunds Fans wollen von Emotionen überwältigt werden
Aber in Mönchengladbach ist gerade gar keine Unzufriedenheit: Man erfindet sich neu, mit Marco Rose. Wieder alles anders, wieder alles gut. Jetzt rennen und fighten sie, sie sind „auf dem Weg zu Kriegern zu werden“, wie Rose kürzlich sagte, und an den vorsichtigen Taktiker Favre denkt man im Gladbacher Übermut eher nur noch, weil das Mitleid für ihn groß ist. Und das Unverständnis darüber, dass die Dortmunder Favre eben einfach nicht verstehen und ihn deshalb gar nicht verdient hätten.
Denn in Dortmund, wo der Fußball-Tempel brodelt und die Anhängerschaft im Grau des Alltags von Emotionen überwältigt werden will, fällt der Trainer dafür aus. Dort liebt Favre offenbar kaum jemand. Das ist ihm selbst vielleicht egal, aber es beeinflusst Stimmung und Entscheidungen, die um ihn herum fallen. Vor dem Pokalduell mit seinem Herzensverein scheint der 61 Jahre alte Schweizer beim BVB nicht mehr wohlgelitten. Alle schon immer zahlreich vorhandenen Befürchtungen, der sensible Fußball-Professor Favre, der als Unterhaltungskünstler im bunten Betrieb nicht und als Kumpeltyp schon gar nicht taugt, könnte im ewigen Kloppo-Land Dortmund völlig fehl am Platz sein, scheinen sich zu bestätigen. Man ahnte das. Jetzt ist es da.
Während Favre im stillen Kämmerlein am Auftritt seiner Mannschaft feilt und immer öfter mit Frust ob des Dargebotenen dorthin zurückkehrt, bleibt die deutsche Öffentlichkeit beim Schweizer eigentlich schon seit Amtsbeginn 2007 bei Hertha BSC Berlin außen vor. Auf Pressekonferenzen gibt es meist dahingehauchte Plattitüden oder Durchhalteparolen, die ihn selbst wie die anwesende Journaille nerven, aber das lächelt er weg. Mehr gibt er nicht preis. Er hält das für unangebracht, weil Journalisten seine Spiele nicht gewinnen. Was sollte er ihnen vermitteln? Nie würde er sich so weit verbiegen, als dass er in der Unterhaltungsbranche Bundesliga zumindest mal ankommen würde.
Favre bleibt Geheimnis. Das mag reizvoll sein, wird irgendwann aber zur Belastung, weil nur der gemocht werden kann, der auch von sich preisgibt. Vor allem in Dortmund, wo sie vom Maßstab Jürgen Klopp alles gewusst haben. Und es liebten. Und jetzt? Zwei Siege in den vergangenen acht Pflichtspielen. Nur Tabellenfünfter. Es zwickt und schmerzt, wenn man das talentierte Feinfuß-Orchester des BVB verzweifeln sieht. Die Mannschaft wackelt beständig, nichts fällt mehr leicht. Von dem Respekt, den Favre wie automatisiert vor jedem nächsten Gegner predigt, ist in der Mannschaft nur noch Angst geblieben. So ist das dann: Von Akribie und Detailarbeit, die Dortmund zuerst begeistert hat, ist das genervte Abwinken geblieben: alles kleinlich. Und jetzt kommen Gladbach, Wolfsburg, Inter Mailand, dann die Bayern. Wochen der Wahrheit. Und danach kann vielleicht schon alles vorbei sein.
Mourinho zum BVB? Der würde noch weniger als Favre passen
Glaubt man dem Vereinsumfeld, ist der Daumen schon gesenkt und Favre auf der Abschussliste. Allein die Alternativen sollen noch fehlen. Die BVB-Führung, in der Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke von jenem Trainer abgerückt sein soll, der nach Bosz, Tuchel und Stöger die neue Konstante werden sollte, ist zum Wechsel jetzt noch nicht bereit. Bis zur Winterpause muss es wohl noch gehen, dann lässt sich besser justieren: Bundesliga-Trainer wie Florian Kohfeldt (Vertrag in Bremen bis 2023), David Wagner (Vertrag auf Schalke bis 2022) oder – Achtung – Marco Rose (bis 2022) könnten passen, sind aber nicht zu haben. Welttrainer Jose Mourinho (arbeitslos), der kürzlich gehandelt worden ist, passte noch weniger nach Dortmund als Favre selbst.
Favre interessiert das alles ohnehin nicht. „Ich habe nicht viel Zeit, das zu lesen. Es bringt nichts, darüber zu sprechen. Ich gehe meinen Weg weiter“, sagt er. Wie einer, der sich hinter einer Schutzmauer versteckt, die ihn unerreichbar machen könnte, tatsächlich aber nur unverstanden macht. Womöglich auch in der Mannschaft. Noch dementiert die Vereinsführung alle Überlegungen. „Wir führen keine Trainerdiskussion“, versicherte BVB-Sportdirektor Michael Zorc, „es ist ja nicht so, dass wir gerade vorm Abstieg stehen. Die Ziele sind alle noch zu erreichen.“ Aber spätestens, als Watzke mit leuchtenden Augen Klopp zur eigenen Buchvorstellung vor rührseligen Fans neben der Dortmunder Arena begrüßte und danach in allen TV-Talkshows erzählte, wie schön das war mit Jürgen und ihm, muss Favre sich im falschen Film gewähnt haben.
Hilfe kommt aus Gladbach. „Die Wucht der Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Es ist noch viel passiert beim BVB“, sagt Sportdirektor Max Eberl, ein Favre-Fan. „Er hat bei uns einen hervorragenden Job gemacht und war ja auch beim BVB sehr schon erfolgreich“, sagte er mit Verweis auf den zweiten BVB-Platz in der vergangenen Saison. Dass er in jedem zweiten Trainerjahr nicht mehr funktioniert, dagegen kämpft Favre an. Aber es ist kein gerechter Kampf: In Gladbach wurde er in vier Jahren Vierter, Sechster, Achter und Dritter, danach ging er. Ein starkes Ergebnis. Aber selbst das würde ihm in Dortmund nicht reichen.