Fußball Der Baumeister der legendären Fohlen-Elf

Mönchengldbach · Am Donnerstag wäre die Trainer-Legende Hennes Weisweiler 100 Jahre alt geworden. Bei Borussia Mönchengladbach begann seine Karriere – eine einmalige Liaison.

Hennes Weisweiler war von 1964 bis 1975 Trainer bei Borussia Mönchengladbach. Weisweiler war 1983 im Alter von lediglich 63 Jahren gestorben.

Foto: dpa/Hans Hemann

Wieder gescheitert, erneut kein Titel, der Trainer ist unzufrieden: Hennes Weisweiler hat hohe Ansprüche. Als in der Saison 1968/1969 auch noch Mitaufsteiger FC Bayern München erstmals seit der Gründung der Bundesliga das Rennen um die deutsche Meisterschaft für sich entschied, wird es dem legendärenTrainer von Borussia Mönchengladbach zu bunt. „Wenn wir nächstes Jahr nicht Meister werden, gehe ich“, verkündet er in schroffem Ton.

Das Thema hat sich zum Glück ein Jahr später, am Abend des 30. April 1970, einem Donnerstag, erledigt. Am Bökelberg wird gejubelt und gefeiert. Fünf Jahre nach dem Aufstieg in die Fußball-Bundesliga gelingt endlich der große Wurf. Borussia Mönchengladbach sichert sich am vorletzten Spieltag die erste deutsche Meisterschaft. Hennes Weisweiler hat seinen nächsten großen Traum verwirklicht und die nach seinen Vorstellungen entwickelte Fohlen-Elf nun ganz nach oben geführt.

Laumen: „Die Zeit war damals reif, wir waren einfach dran“

Im Verlauf der 70er-Jahre prägen die Gladbacher mit ihrem auf Angriff ausgerichteten, unbekümmerten und kreativen Stil die Liga und teilen sich den Meistertitel regelmäßig mit dem FC Bayern. Borussia Mönchengladbach und Hennes Weisweiler: Das waren elf emotionale und erfolgreiche Jahre und eine wunderbare, unvergleichliche Liaison. Am heutigen 5. Dezember wäre der am 5. Juli 1983 verstorbene Weisweiler 100 Jahre alt geworden.

„Weisweiler war eine Autorität, eine Respektperson, jemand, der sich geradezu liebevoll um seine Spieler kümmerte, ja, und er war von Anfang an ein Verfechter des Offensivspiels“, sagt Herbert Laumen (76) in der Sportsbar des Borussia-Parks im Gespräch und erinnert sich an jene Zeit der ersten Meisterschaft, die so weit entrückt ist, aber doch immer wieder lebendig wird. Erst recht jetzt, da die Gladbacher Borussia in der Liga für Furore sorgt. „Die Zeit war damals reif, wir waren einfach dran“, fährt der ehemalige Top-Stürmer der Gladbacher fort.

Der Gewinn der ersten Meisterschaft war aber nicht nur das Produkt aus Spielfreude und Angriffslust. Erst als Gladbach die Abwehr verstärkte und Luggi Müller (1. FC Nürnberg) sowie Klaus Dieter Sieloff (VfB Stuttgart) 1969 am Bökelberg anheuerten, wurde die Sache mit dem Titel spruchreif. Laumen: „Es war Günter Netzer zu verdanken, der die fehlende Klasse im Defensivverbund gegenüber dem Trainer deutlich ansprach.“ Netzer war vorm ersten Tag an der „verlängerte Arm“ von Weisweiler, der die Genialität des Spielmachers frühzeitig erkannte. Reibereien und unterschiedliche Auffassungen dieser besonderen Charaktere gab es gleichwohl immer wieder; sie gipfelten schließlich in der Selbsteinwechslung Netzers 1973 im DFB-Pokalfinale gegen Köln, seinem letzten Spiel für Gladbach, das er mit dem Siegtor in der Verlängerung krönte (2:1).

Netzer landete bei Real Madrid, zwei Jahre später folgte der Abschied von Hennes Weisweiler bei Borussia Mönchengladbach, der mit der dritten Meisterschaft und dem Uefa-Cup-Triumph gegen Twente Enschede glanzvoll zu Ende ging. Die Vitrinen in der Geschäftsstelle waren gut gefüllt. Doch am Bökelberg war nach Weisweilers Weggang zum FC Barcelona erst einmal Frust angesagt. In seinem Buch von der „launischen Diva“ schreibt der damalige Manager Helmut Grashoff: „Ich war geschockt, wütend, sprachlos.“ Grashoff fühlte sich ob des Wechsels zu den Katalanen übergangen, war von Weisweiler menschlich enttäuscht. Erst Jahre später versöhnten sich Grashoff und Weisweiler, und letztlich konnte auch Weisweilers Weggang der wunderbaren Freundschaft nichts anhaben. Den Wechsel von Viktoria Köln in die niederrheinische Provinz zur Gladbacher Borussia anno 1964 hatte der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger in die Wege geleitet, der eine hohe Meinung vom Hochschul-Dozenten Weisweiler hatte.

Wimmer: „Er respektierte auch die Schwächen von Spielern“

Herbert Laumen war übrigens einer von 82 Spielern, die Hennes Weisweiler in den elf Gladbach-Jahren (1964 und 1975) unter seine Fittiche nahm. Viele wurde Nationalspieler, eine Handvoll Europa- und Weltmeister. Meistens waren es junge, schnelle und unbekümmerte Fußballer, die Weisweiler im Blick hatte. Jupp Heynckes gehörte zu dieser Kategorie, und so dauerte es nur ein paar Tage, bis Weisweiler den noch nicht einmal 19 Jahre alten talentierten Straßenfußballer aus der Jugend in die erste Mannschaft beförderte. Die schickte sich zu der Zeit an, von der zweitklassigen Regionalliga in die Bundesliga aufzusteigen, was ihr 1965 schließlich gelang. Weisweilers erstes Ziel war erreicht, und Heynckes wurde ein Top-Stürmer und Torjäger par excellence.

„Weisweiler war ein unkonventioneller Trainer, er hat die Nähe zu uns Spielern gesucht, er hat uns immer zugehört und davon einiges in seine tägliche Arbeit einfließen lassen. Das war eine große Stärke von ihm. So wurden wir noch variabler, noch unberechenbarer“, sagte Jupp Heynckes vor einiger Zeit im Exklusiv-Interview mit dieser Zeitung.

Sein besonderes Gespür für junge Spieler hebt Herbert „Hacki“ Wimmer hervor. Den lauffreudigen Mittelfeldspieler entdeckte Weisweiler bei einem Amateurspiel. Wimmer blieb Zeit seines Fußballlebens bei der Borussia vom Niederrhein: „Der Trainer respektierte auch die Schwächen von Spielern. Das zeugt von Größe. Er legte großen Wert auf Disziplin, ließ uns aber auch viele Freiräume. Seine Ansprachen und Analysen waren stark.“ Weisweilers Ehrgeiz nach Perfektion war sehr ausgeprägt. „Man könnte sagen, er war hart, aber herzlich“, sagte Jupp Heynckes über Weisweiler.

Paradesturm mit Laumen, Rupp, Heynckes, Netzer und Waddey

Der Fußball-Lehrer liebte den Angriffsfußball über alles. Um den Paradesturm in seiner ersten Spielzeit am Bökelberg mit Laumen, Bernd Rupp, Heynckes, Netzer und Werner Waddey wurde der Niederrhein-Klub landauf-landab beneidet. „Wir spielten wie im Rausch, wollten immer nach vorn“, erinnert sich Laumen. Als Wolfgang Kleff 1968 zu Borussia Mönchengladbach wechselte, wusste der spätere Kult-Torhüter den Trainer nicht nur in seinem eigentlichen Metier zu überzeugen. „Ich konnte mit dem Bällchen sehr gut umgehen“, erzählt Kleff im Gespräch mit unserer Zeitung, „ich war beidfüßig. Das gefiel dem Chef.“

Jupp Heynckes stand auch später noch in Kontakt zu Hennes Weisweiler, „Ich erinnere mich noch an ein langes Telefonat nach seiner Zeit in New York. Er fragte mich, ob er ein Angebot von Eintracht Frankfurt, die damals große Ziele anvisierte, annehmen solle oder das von Grashopper Zürich. Bei seiner Reputation und seinem Anspruchsdenken empfahl ich ihm, in die Schweiz zu gehen.“

Dort wurde Hennes Weisweiler im Jahr 1983 Meister und Pokalsieger. Nur wenige Wochen später starb er im Alter von 63 Jahren an einem Herzinfarkt. 22 Monate zuvor hatte Ehefrau Gisela Sohn John auf die Welt gebracht.