Meister der Superlative - Fußball-Hauptstadt Dortmund

Dortmund (dpa) - Die lange Meistersause ging erst im Morgengrauen zu Ende. Beim Feiern des Husarenstücks bewiesen die Dortmunder Profis ähnlich viel Stehvermögen und Leidenschaft wie im famosen Kampf um Punkte.

Von allem Druck befreit, ließen sie es in der Nacht nach dem 2:0 (1:0) über Borussia Mönchengladbach mächtig krachen. Abermals entpuppte sich der in der alten und neuen deutschen Fußball-Hauptstadt geborene Kevin Großkreutz als einer der größten Partylöwen: „Das ist Gänsehaut pur. Ich werde jetzt bis Mittwoch feiern und frei machen“, kündigte der Mittelfeldspieler an.

Schon zum Vier-Gänge-Menü beim Italiener „Piazza Navona“ erschienen die meisten Profis leicht beschwingt. Das spontane Fest wenige Stunden zuvor im Stadion hatte Spuren hinterlassen. Vor der Südtribüne duschten alle Spieler ausgiebig in Bier, herzten ihre auf den Rasen geeilten Partnerinnen und posierten mit einer überdimensionalen Meisterschale aus Kunststoff. Breit grinsend knüpfte Torhüter Roman Weidenfeller an sein Kultinterview aus dem vorigen Meisterjahr an: „We have schon jetzt eine grandiose Saison gespielt. Mit dem Pokalsieg wäre sie noch grandioser“, sagte er mit Bezug auf ein mögliches weiteres Highlight Mitte Mai in Berlin.

Berauscht von der Euphorie der Fans und der Leistung seines Teams ließ der triefnasse Fußball-Lehrer Jürgen Klopp die obligatorische Pressekonferenz sausen: „Wir haben seit 26 Spielen nicht mehr verloren - das ist verrückt.“ Die vielen Glückwünsche gab er umgehend an seine Profis weiter: „Ich danke Zorc, Watze und Rauball, dass sie mir dieses Team zusammengestellt haben. Diese Mannschaft kann jeder trainieren, sie hat einen außergewöhnlichen Charakter.“

Ähnlich ausgelassen wie auf dem Platz ging es in der Kabine weiter. In Anzughose und Hemd nahm Michael Zorc ein unfreiwilliges Vollbad im Entmüdungsbecken. Seiner glänzenden Laune tat das Schelmenstück der Spieler keinen Abbruch. Der fulminante Schlussspurt der „Unersättlichen“ erfüllte den Sportdirektor mit Stolz: „Wir haben binnen zehn Tagen den Zweiten, Dritten und Vierten geschlagen. Es gab selten einen verdienteren Meister als in dieser Saison.“

Ähnlich wie bei den Siegen über den FC Bayern (1:0) und den FC Schalke 04 (2:1) behielt der Titelverteidiger auch im Showdown gegen Mönchengladbach die Nerven. Dabei hatte der Nachmittag wenig verheißungsvoll begonnen: Mit dem Last-Minute-Treffer von Franck Ribéry zum 2:1 der Münchner drei Stunden zuvor in Bremen erfüllte sich die Hoffnung auf eine vorzeitige Titelentscheidung noch nicht. „Das war für uns schon ein Einschlag, aber wie die Mannschaft darauf reagiert hat, war einfach nur geil“, kommentierte Klopp den Sieg durch die Tore von Ivan Perisic (23.) und Shinji Kagawa (59.).

Bei Erfolgen in den beiden restlichen Spielen gegen Kaiserslautern und Freiburg winkt dem BVB ein weiterer Rekord. Nie zuvor kam ein Bundesligist auf 81 Saison-Punkte. Dabei schien der Zauber schon am 6. Spieltag verflogen. Im Anschluss an das 1:2 in Hannover rangierte der Titelverteidiger abgeschlagen auf Rang elf. „Ich saß 20 Minuten regungslos auf der Tribüne. Hätte mir damals jemand erzählt, dass wir bis zum Saisonende nicht mehr verlieren, hätte ich ihn für verrückt erklärt“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

In eindrucksvoller Manier widerlegte die Borussia die gängige These, dass nur ein schwaches Jahr des Rekordmeisters aus München anderen zum Titel verhelfen kann. Vor allem in den direkten Duellen mit den Titelaspiranten dominierte Schwarz-Gelb: Von 18 möglichen Zählern aus den Spielen gegen Bayern, Schalker und Mönchengladbacher verbuchte der Meister beachtliche 16 Zähler. Glückwünsche aus München kamen am Sonntag. „Borussia Dortmund hat eine sehr gute Saison gespielt, die Mannschaft hat Klasse und Konstanz bewiesen und ist deshalb verdient deutscher Meister 2012 geworden“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge

Im Vergleich zum ebenfalls famosen Vorjahr bescheinigte Zorc der Mannschaft gewachsene Reife: „Sie spielt nicht nur Hurrafußball, sondern mit klarem Plan und klarer Strategie.“ Mit dem erneuten Titelgewinn will sich der Sportdirektor nicht begnügen: „Wir haben die Chance, Historisches zu schaffen. In unserer Vereinsgeschichte wurde noch nie das Double geholt. Das können wir jetzt nachholen“, sagte er voller Hoffnung auf den nächsten Coup im Cupfinale gegen die Bayern.

Nach einer Saison der Superlative schickt sich der BVB an, zum Dauerrivalen des Rekordmeisters aus München zu werden. Nur sieben Jahre nach der Fast-Insolvenz bescheinigt die Fachwelt dem einstigen Sorgenfall glänzende Perspektiven. Demütig blickt Kapitän Sebastian Kehl auf die wundersame Erfolgsgeschichte zurück. „Dass wir es geschafft haben, uns so zu erholen, ist eine Stärke, die ihresgleichen im europäischen Fußball sucht. So habe ich auch als Mensch viel dazu gelernt“, sagte er in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“.

Nicht nur das Stadion, die ganze Stadt versank in schwarz-gelber Glückseligkeit. Tausende Anhänger hatten schon am Nachmittag das Zentrum in eine zweite Borussen-Arena verwandelt. Nach dem Titelgewinn platzte die Innenstadt aus allen Nähten. Hunderte Autos verstopften den Wall um die City. Nach Angaben der Polizei verlief die Nacht weitgehend friedlich. Die eigentliche Titelparty steht aber noch aus: Einen Tag nach dem Pokalendspiel gegen München wollen Mannschaft und Fans am 13. Mai in Dortmund ganz groß feiern. Bei der Meisterschaft 2011 waren 400 000 zum Autokorso gekommen.