Bundesliga BVB spielt kontrolliertes Vollgas

Unter Thomas Tuchel hat Borussia Dortmund zu alter Stärker gefunden. Die Gründe sind vielfältig.

Trainer Thomas Tuchel hat in Dortmund für eine neue Dynamik gesorgt.

Foto: UweSpeck

Dortmund. Es ist gerade ein Jahr her, da befand sich Borussia Dortmund im freien Fall. Am 12. Spieltag der Bundesliga-Saison 2014/2015 gab man beim späteren Absteiger SC Paderborn eine 2:0-Führung aus der Hand. Am Ende hieß es 2:2, der BVB stand mit 11 Punkten und 14:19 Toren auf dem Relegationsplatz. Jürgen Klopp, damals noch Trainer der Borussia, wirkte zunehmend ratlos. Zwar fing sich seine Mannschaft im Laufe der Rückrunde. Den Abschied von „Kloppo“, der wie kein anderer den BVB verkörperte, verhinderte das nicht.

Heute, 363 Tage später, ist Borussia Dortmund nicht wiederzuerkennen. Nicht nur, weil statt Klopp Thomas Tuchel auf der Trainerbank sitzt. 29 Punkte auf dem Konto, 35:15 Tore und Platz 2 hinter den Bayern sind der zahlenmäßige Ausdruck der neuen BVB-Stärke. Für die „Wiedergeburt“ gibt es viele Gründe.

Mit Thomas Tuchel ist bei der Borussia frischer Wind eingekehrt. Nach sieben Jahren Klopp hatten sich zwischen Trainer und Mannschaft — naturgemäß — Abnutzungserscheinungen eingestellt. Tuchel brachte eine neue Ansprache, neue Trainingsmethoden und auch ein anderes Auftreten mit.

Ein Beispiel: Anders als Klopp feiert Tuchel nach Siegen nicht mit den Fans vor der Südtribüne. „Dieser Moment gehört der Mannschaft“, sagt Tuchel. Damit ist keine Wertung über die Qualität der beiden Trainertypen verbunden. Aber die Spieler spüren die Veränderung. Die Ergebnisse zeugen von der Dynamik.

Während Klopp auf kompromissloses Pressing und Gegenpressing setzte, gewinnt bei Tuchel das Ballbesitzspiel an Bedeutung. Tuchel hat den Mittelweg zwischen der am Ende ausrechenbaren Klopp’schen „Vollgasveranstaltung“ und dem zermürbenden Ballbesitzspiel des FC Bayern gefunden.

Tuchels BVB lässt geduldig den Ball im zweiten Drittel der gegnerischen Hälfte zirkulieren, um im richtigen Moment mit Henrikh Mkhitaryan, Marco Reus und Shinji Kagawa den Weg zum Tor zu suchen. Der BVB spielt „Vollgaskontrolle“. Zudem werden die Außenverteidiger (wieder) zur Waffe: Marcel Schmelzer und vor allem Matthias Ginter (zwei Tore und sieben Torvorlagen) stehen hoch und werden zu zusätzlichen Angreifern.

Ein Jahr nach dem Abgang von Stürmer Robert Lewandowski zu den Bayern hat der BVB eine neue Angriffsphilosophie gefunden. Pierre-Emerick Aubameyang ist nicht der Zielspieler wie Lewandowski. Stattdessen wird der Wirbel im BVB-Angriff auf viele Schultern verteilt. Das einstige Sorgenkind Mkhitaryan steht laut Tuchel mittlerweile „für unglaubliche Effektivität“.

Der Armenier verbucht in der laufenden Saison bereits fünf Tore und sechs Torvorlagen für sich. Kagawa ist nach seinem zweijährigen Missverständnis bei Manchester United wieder fast der Alte. Allen voran ist es aber Aubameyang, der von der Unberechenbarkeit profitiert: Haben seine Offensivkollegen gewirbelt, veredelt er die Angriffe mit Toren. 14 Mal traf der Gabuner bisher.

Dass es vorne so gut läuft, liegt auch an einer funktionierenden Absicherung. Tuchel spielt anders als Klopp oft mit nur einem echten „Sechser“. Bei Ballverlust rückt einer der Offensiven — meist Ilkay Gündogan oder Kagawa — zurück und sichert zusätzlich ab. Dass mit Julian Weigl ein erst 19-Jähriger als nomineller „Sechser“ dem BVB Stabilität gibt, überrascht, ist zugleich aber Ausdruck der neuen Stärke.