Lucien Favre in Dortmund: Die Ankunft des Anti-Klopp

Bei der Vorstellung von Lucien Favre als Trainer in Dortmund wird schnell klar: Die Unterhaltungskünstler sind hier Vergangenheit. Schlecht muss das nicht sein.

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Dortmund. Der Mann, der jetzt in seine Tasten haut, als gäbe es kein Morgen mehr, schimpft, als gäbe es kein Morgen mehr. „So etwas habe ich hier noch nie erlebt, und ich mache das seit 20 Jahren“, krakeelt er. Gerade hatte der Fußballtrainer Lucien Favre nach 20 Minuten, in denen meistens der Geschäftsführer Hans Joachim Watzke oder der Sportdirektor Michael Zorc und eher selten der Protagonist gesprochen hatte, seine erste Pressekonferenz als neuer Trainer des Fußball-Erstligisten Borussia Dortmund beendet.

Und der Mann, der jetzt so schimpft, brachte iese 20 Jahre in seinem Kopf und die gerade erlebten 20 humorlos-nüchternen Minuten im BVB-Tempel an der Strobelallee irgendwie nicht zusammen. „Als der Klopp hierher kam, da hat der Vollgasfußball versprochen. Und das hat er bis zur letzten Minute gehalten. Aber so wenig Euphorie wie heute - das habe ich noch nie erlebt.“

Die Kanonade wollte kein Ende nehmen, in Dortmund ist mancher Journalist auch Fan, was schon grundsätzlich ein Problem ist, aber in Dortmund nach Jahren mit dem heiliggesprochenen Klopp gleich im Besonderen. Wer sich aber schon vorher mit dem Schweizer Favre beschäftigt hatte, wird an diesen wenigen ersten Minuten im Ruhrpott gar nicht viel außergewöhnlich finden. Wo Klopp oder selbst dessen Nachfolger Thomas Tuchel wahlweise unterhaltsam, preisverdächtig inhaltsreich oder auch wütend die Mikrofone malträtierten und sich als Teil der Unterhaltungsbranche verstanden, sprach Favre die ersten Antworten scheinbar schüchtern quer über das Pult zu Watzke oder BVB-Sprecher Sascha Fligge, aber nicht zu den Journalisten. Und vor allem nicht ins: Mikrofon.

Das richtete Zorc dann schnell. Man will dem neuen Mann ja Gehör gaben, auf den sie alle stolz sind. Immerhin, so gestand Watzke, hatte der BVB schon oft an Favre gegraben, in der Vorsaison sei er sogar „Wunschkandidat“ gewesen. Gekommen war dann Peter Bosz, aber der war so schnell weg wie Nachfolger Peter Stöger, und jetzt ist er dann doch da: Lucien Favre, 60 Jahre alt, das Haar hat von Grau auf Weiß gewechselt, braun gebrannt ist er, asketische Figur. Ein Fußball-Professor, der am liebsten darüber redet, was in dieser Branche schon mal weniger interessiert — über Fußball an und für sich nämlich —, weshalb es nach einigen Fragen dann wohl auch schnell keine mehr gab. Wie, wollte einer wissen, wollen sie denn künftig Fußball spielen lassen, Herr Favre? Und der Mann aus Saint-Barthélemy, der laut Watzke auf jeder Station - also beim FC Zürich, Hertha BSC Berlin, Borussia Mönchengladbach und OGC Nizza - das „Potenzial ausgeschöpft hat“, sagte einen wunderbaren Favre-Satz: „Im Mittelfeld müssen wir das Spiel mit sehr vielen Spielern beherrschen, die Lücken intelligent finden, und sehr, sehr hoch spielen. Aber auch kontern. Eine Mannschaft, die nicht kontern kann, ist keine große Mannschaft.“

Und dann sagte er, dass es Zeit brauchen werde, bis er das entwickelt habe, was man gerne glaubt angesichts dieser variablen Erstgedanken. Das, sagte Favre, gehe nicht innerhalb eines Monats. Und so wurde „Geduld“ ein wichtiges Wort des Tages. Watzke stellte schon zuvor fest: „Es geht darum, realistisch zu sein. Wir haben keine Titelträume, was nicht heißt, dass wir nicht trotzdem hoch ambitioniert sind. Ziel wird immer die CL-Qualifikation sein. Das war es dann aber auch.“ Und jetzt, meinte der Mann, der hofft, im Trainer-Regal mal nicht mehr danebengegriffen zu haben: „Jetzt lassen wir den Trainer mal arbeiten.“

Favre wird viel arbeiten. Und wenig reden. Damit mag mancher beim BVB noch fremdeln, aber wenn der Schweizer erst einmal sein funktionierendes Hochgeschwindigkeits-Passspiel in diese schwarz-gelbe Neuanfang-Truppe implantiert hat, wird man in Dortmund vielleicht gern auf Unterhaltsames verzichten. Sollte das allerdings nicht funktionieren, wird diese relative Sprachlosigkeit natürlich schnell zum Problem, das ist auch klar: Dafür hängt der Unterhalter Klopp dann eben doch noch zu hoch über der Südkurve, die Favre in den kommenden Jahren wohl eher weniger mit Anwesenheit beehren wird. Ein nettes, leises Wort hatte er dann aber doch noch im Gepäck: „Es ist eine große Herausforderung. Wenn der BVB kommt, kann man das als Trainer nicht ablehnen, das ist unmöglich.“

Und wer damit gerechnet hatte, dass der Trainer und Nationalspieler Marco Reus seit ihrer Zusammenarbeit in Mönchengladbach Kontakt gehalten hätten, um nun in Dortmund wieder zueinander zu finden, was ja eine wirklich schöne, fußballromantische Geschichte gewesen wäre, wurde auf den Boden geholt. Reus, sagte Favre so nüchtern, wie nur er es in einem wohl noch ein wenig brüchiger gewordenen Deutsch sagen kann, habe er zuletzt 2012 gesprochen, als der Gladbach verließ. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. In Gladbach hat es sehr gut mit ihm funktioniert.“ Ende.

Möglich, dass Reus ähnlich wie in Gladbach künftig als spielende Sturmspitze eingesetzt wird. Einen echten Vollblutstürmer hat der BVB nach dem Abgang von Michy Batshuayi zu Chelsea London nämlich nicht mehr, und ob da noch einer kommt? Ungewiss. Bisher wurden in Thomas Delaney, Eric Oelschlägel (Werder Bremen), Abdou Diallo (FSV Mainz 05), Marius Wolf (Eintracht Frankfurt) und Marwin Hitz (FC Augsburg) fünf Zugänge vorgestellt. Zudem soll die Leihe von Außenverteidiger Achraf Hakimi (Real Madrid) bald bestätigt werden. Da in Sokratis (FC Arsenal) und Gonzalo Castro (VfB Stuttgart) erst zwei Abgänge feststehen, ist der Kader mit 30 Spielern noch zu groß. „Es wird noch die eine oder andere Bewegung geben“, kündigte Favre an. Und weil das fragende Gesichter im Plenum hinterließ, griff Zorc ein. „Wir sind uns einige, dass wir den Kader noch verkleinern wollen.“ Eine solch definitive Aussage - sie wäre Favre nie über die Lippen gekommen.