Dortmunder Offensivdemonstration auf höchstem Niveau
6:1 gegen Gladbach entzaubert die schwarz-gelbe Borussia die Namenscousine vom Niederrhein. Doch mit Blick auf die Champions League macht die Defensive ein paar Sorgen.
Dortmund. Die Südtribüne beantwortete zur Pippi-Langstrumpf-Erkennungsmelodie die Frage nach dem kommenden Deutschen Meister, die Spieler erfreuten sich am dritten Bundesliga-Dreier innerhalb der „englischen Woche“ und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke lief mit einem zufriedenen Lächeln durch die Katakomben des Stadions. Borussia Dortmunds Fußballwelt besteht in diesen Tagen aus wiederkehrenden Bildern und Ereignissen. Nur die Gegner wechseln — und scheinen derzeit zumindest national beliebig austauschbar. Am Samstagabend war es die Namenscousine aus Mönchengladbach, die vom Zauber des Tabellenführers desillusioniert wurde. 6:1 prangte nach dem Abpfiff auf den beiden großen Anzeigetafeln im mit 81360 Zuschauern ausverkauften Westfalenstadion. Eine Offensiv-Demonstration in schwarz und gelb, die auch durch das erste Liga-Gegentor der Saison nicht getrübt wurde.
„Es hat über 90 Minuten Spaß gemacht. Den Zuschauern und auch mir als Trainer“, sagte Peter Bosz bei der anschließenden Pressekonferenz. Der 53-Jährige aus dem niederländischen Apeldoorn hat dem BVB im ersten Jahr nach Thomas Tuchel in bemerkenswert kurzer Zeit seine Spielphilosophie vermittelt: Pressing, Gegenpressing, schnelles Spiel in die Spitze. Beim Dortmunder Anhang sind längst Erinnerungen an Meisterjahre unter Jürgen Klopp wach geworden.
Gegen Gladbach verzichtete Bosz auf Andrej Yarmolenko und Nuri Sahin. Dafür kehrte Julian Weigl nach Bruch des Sprunggelenks und monatelanger Pause in die Startelf zurück. Der als „Passmaschine“ bezeichnete Mittelfeldspieler leitete mit einem tollen Zuspiel das 1:0 ein und setzte mit dem 6:1, seinem ersten Bundesligator, den Schlusspunkt. „Es war ein unbeschreibliches Gefühl“, gab der 22-Jährige zu Protokoll.
Unbeschreiblich waren auch die Leistungen der beiden Angreifer Maximilian Philipp und Pierre-Emerick Aubameyang. Der Zugang aus Freiburg zeichnete für die ersten beiden Treffer verantwortlich, Aubameyang gelang gar ein Dreierpack. Der Gabuner, der vor einigen Tagen wieder einmal mit Aussagen über seinen geplatzten Sommer-Wechsel für Aufsehen sorgte und angeblich erneut vom chinesischen Club Tianjin Quanjian umworben wird, übernahm mit seinen Saisontoren sechs, sieben und acht auch wieder die Führung in der Torjägerliste.
„Am Ende des Tages war es eine sehr gute Mannschaftsleistung. Die Stürmer bekommen die Bälle ja von anderen Spielern aufgelegt. Gegen einen gut organisierten Gegner gewinnt man nicht mit nur zwei guten Stürmern 6:1“, sagte Bosz, der es bewusst vermied, der Offensivabteilung den Löwenanteil seines Lobes zuzugestehen.
Wie viel individuelle Qualität im BVB-Kader anno 2017/18 steckt, verrät auch ein Blick auf die Ausfallliste. Dort finden sich unter anderem Namen wie Marco Reus, Raphael Guerreiro oder Marcel Schmelzer. Allesamt gestandene Stammspieler. Dass es rund um Strobelallee und Borsigplatz aber derzeit so beeindruckend läuft, hat mit der erstaunlichen Erfolgsquote der Dortmunder Einkaufstouren zu tun. Sportdirektor Michael Zorc und Aki Watzke haben mit Philipp, dem gegen Gladbach bärenstarken Mahmoud Dahoud oder dem erst 18-jährigen Dan-Axel Zagadou offenbar wieder einmal alles richtig gemacht. Junge Spieler für hohe, aber vertretbare Ablösesummen verpflichten und sie weiterentwickeln.
Bei aller Euphorie und angemessener Freude über den Augenblick werden erst die kommenden Wochen zeigen, wie weit dieser BVB mit Peter Bosz wirklich ist. Leipzig, Bayern und Schalke sind die drei kommenden Heimspielgegner in der Bundesliga. Das sind die größeren Kaliber im Alltagsgeschäft. In der Champions League geht es für den Tabellenführer morgen gegen Titelverteidiger Real Madrid. Und nach der 1:3-Niederlage zum Königsklassen-Auftakt in Tottenham ist die Borussia trotz des großen Namen des Gegners zum Punkten verdammt, um in der stark besetzten Vorrundengruppe nicht frühzeitig hinterher zu laufen.
Mut macht zweifellos die imponierende Serie von 41 Heimspielen in Folge ohne Niederlage. Ein paar Fragen wirft hingegen die Abwehr der Dortmunder auf, die am Samstagabend einige Male leicht entblößt wurde. National mögen die Fähigkeiten von Sokratis, Ömer Toprak und Lukas Piszczek den Ansprüchen vollauf genügen. Doch gegen Gladbach zeigte sich, dass vor allem die beiden Innenverteidiger läuferische Defizite nicht immer ausmerzen können — das Spiel im Londoner Norden vor zwei Wochen dient hierbei als weiteres belastendes Beweismaterial. Aber dann gibt es vorne ja immer noch einen Pierre-Emerick Aubameyang und einen Maximilian Philipp.