„Fast perfektes Pressing“: Hoffenheim glänzt
Sinsheim (dpa) - 1899 Hoffenheim ist immer noch kein besonders beliebter Bundesliga-Club, seinem Fußball aber zollen Experten mittlerweile hohen Respekt. Seit fünf Spielen ist die TSG inzwischen ungeschlagen.
In den vergangenen Jahren war der Club immer wieder für bundesweite Schlagzeilen gut. Meist ging es dabei um den Rauswurf von Trainern und Managern, um das Dauertheater mit Torhüter Tim Wiese oder um tragische Ereignisse wie den Autounfall von Profi Boris Vukcevic. Inzwischen hätte es der Club verdient, dass sein spektakulärer Fußball in den Fokus rückt. „Wir haben einen hohen Unterhaltungswert nur durch unsere Spiele“, sagte Alexander Rosen nach dem furiosen 6:2 (4:1) am Sonntag gegen den VfL Wolfsburg. Der Direktor für Leistungssport und vor allem Trainer Markus Gisdol haben eine sehenswerte Mannschaft geformt.
100 Tore hinten und vorne in 23 Bundesliga-Spielen: Hoffenheim lässt es krachen in dieser Spielzeit. Nachdem die Kraichgauer schon viermal einen Zwei-Tore-Vorsprung verspielt haben, wirken sie nun auch hinten immer gefestigter. In der ersten Halbzeit beim höchsten Erstliga-Sieg der TSG überhaupt hatte selbst Perfektionist Gisdol „ein fast perfektes Pressing“ von seines Spielern gesehen. „Wir haben eine Riesenfreude daran gehabt, welchen Elan die Mannschaft entwickelt.“
Dass Kapitän Andreas Beck und Co. das hohe Tempo bis zum Schluss durchhielten, spricht auch für ihre konditionelle Klasse. „Da machen alle mit“, lobte Sebastian Rudy und erklärte: „Wir sind als Team gewachsen. Das sieht man auch an der Kommunikation auf dem Platz.“ Der 24-Jährige hat bis zur U 21 praktisch alle DFB-Auswahlteams durchlaufen, galt immer als Riesentalent - das stagniert. Gegen Wolfsburg machte der Mittelfeldspieler seine vielleicht beste Partie für Hoffenheim. Auch ein Beispiel dafür, wie Gisdol einen Profi weiterentwickeln kann.
Überragende Einzelkönner hatte Hoffenheim schon oft, aber Gisdol gelingt es zur Zeit, dass einige ihr Ego hintenanstellen: Standard-Spezialist Sejad Salihovic ist wenige Monate vor seiner geplanten WM-Teilnahme mit Bosnien in Topform. Der französische Stürmer Anthony Modeste glänzte diesmal mit zwei Toren und einer Vorlage und knüpfte nach monatelanger Durststrecke an seinen starken Saisonstart an. Außerdem trafen Roberto Firmino (4. Minute), Niklas Süle (37.), Sejad Salihovic (82./Foulelfmeter) und Sven Schipplock (86.) für die Gastgeber.
Firmino und Kevin Volland sind womöglich über den Sommer hinaus nicht zu halten. Gisdol musste sich vergangene Woche mit Volland darüber unterhalten, wieso der Kapitän der deutschen Junioren-Nationalmannschaft nicht zu den Neulingen gehört, die Bundestrainer Joachim Löw für das Chile-Länderspiel nominiert hat. Der 1899-Coach betonte aber: „Ich mische mich nicht in die Nationalmannschaft ein.“ Volland (8 Tore/7 Vorlagen) spielt jedenfalls die zweite Saison hintereinander fast durchweg herausragend.
Während dessen Vertrag bis 2017 gilt, läuft der von Firmino (12 Tore/8 Vorlagen) bereits im Sommer 2015 aus. Gisdol würde den Brasilianer natürlich gerne behalten, sein Marktwert wird mittlerweile aber auf 15 Millionen geschätzt. „Er hat in den letzten zweieinhalb Jahren körperlich unheimlich zugelegt. Roberto weiß auch, wem er die Entwicklung in den letzten zehn Monaten zu verdanken hat“, sagte Rosen.
Wenn das Duo Volland/Firmino wirbelt wie gegen Wolfsburg, dann haben die Zuschauer jedenfalls ihren Spaß. Und Rosen sowieso. „Wir wollen uns wieder definieren über die Art unseres Spiels, unseres Auftretens und über die Integration junger Spieler“, erklärte der 34-Jährige im Stadionmagazin. Es sei schade, dass heutzutage überwiegend Bayern München und Borussia Dortmund national in den Medien existieren. Oder eben Vereine, denen das Wasser bis zum Hals steht. „Dazwischen ist nicht viel.“ Vielleicht aber ein bisschen Hoffenheim.