Fragen und Antworten zur Darmstädter Sperrzone
Darmstadt (dpa) - Nicht nur in der Fanszene ist es das große Thema: Fußball-Funktionäre und Anwälte beschäftigen sich mit dem Aufenthaltsverbot für Frankfurter Anhänger in der Darmstädter Innenstadt.
Zu der ungewöhnlichen Maßnahme vor dem Bundesliga-Derby zwischen dem SV Darmstadt 98 und Eintracht Frankfurt am Samstag gibt es viele Fragen:
Sind die Fanlager wirklich verfeindet?
Beide Clubs verbindet eine innige Feindschaft - aber nur zu Kickers Offenbach. Ansonsten hatten die Vereine durch die lange Erstliga-Abwesenheit der „Lilien“ (1982 bis 2015) wenig miteinander zu tun. „Für mich ist generell rätselhaft, woher der Hass in der Szene kommt - wir waren ja 30 Jahre von der Bildfläche des großen Fußballs verschwunden“, sagte 98-Präsident Rüdiger Fritsch in einem Interview der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Es gibt dementsprechend ja überhaupt keine große Derby-Geschichte.“
Was ist die Vorgeschichte der jetzigen Aufregung?
Vor dem Hinspiel verteilte ein mutmaßliches Mitglied der Eintracht-Ultras in Frankfurt Hetz-Plakate gegen die Darmstädter. Beim Derby am Nikolaustag gab es dann Ausschreitungen: Eintracht-Fans verbrannten Schals und Fahnen des Aufsteigers. Zudem wurden Knallkörper auf das Spielfeld geworfen, nach der 0:1-Pleite drängten vermummte Frankfurter Anhänger in den Innenraum.
Was hat der DFB mit der Aufregung zu tun?
Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes verurteilte die Eintracht nach dem Hinspiel als Wiederholungstäter: Geldstrafe, Schließung des Fanblocks im Heimspiel gegen Stuttgart - und kompletter Ausschluss der Eintracht-Anhänger beim Rückspiel in Darmstadt. Kollektivstrafen werden von Fans, Vereinen und Experten ohnehin kritisch gesehen. In diesem Fall kommt hinzu: Dürften die Frankfurter Anhänger am Samstag ganz normal ins Stadion, hätte man sie dort vermutlich deutlich einfacher unter Kontrolle als so.
Was befürchtet Darmstadt für das Wochenende?
Die Polizei rechnet mit 3000 Frankfurter Fans, die sich trotz des Stadion-Verbots nach Südhessen aufmachen. Von einem „Sternmarsch“, wie zunächst gemutmaßt, will der Fanclubverband allerdings nichts wissen. Aus Angst vor Randale hat die Stadt Darmstadt am Dienstag zusammen mit der Polizei ein 36-stündiges Aufenthaltsverbot für Eintracht-Anhänger in der erweiterten Innenstadt ausgesprochen, beginnend am Freitag um 19.00 Uhr. Sie beruft sich auf das hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Was bemängeln Kritiker?
Was ist beispielsweise mit dem Eintracht-Fan, die in Darmstadt wohnt und dort seinen Schal über die Balkonbrüstung hängt? Die Kernfrage also: Wie will man „den“ Eintracht-Anhänger identifizieren? Und wie kontrollieren? „Diese Maßnahme ist im Kern nicht geeignet, eine Unterscheidung zwischen gewaltbereiten und allen anderen Fans von Eintracht Frankfurt zu treffen“, sagt Frankfurts Vorstandsmitglied Axel Hellmann. Er beklagt sich auch darüber, dass die beiden Clubs in die Entscheidungsfindung „zu keinem Zeitpunkt“ eingebunden war.
Lässt sich die Sperrzone durchsetzen?
Fananwalt René Lau hält die ungewöhnliche Maßnahme für „hochgradig rechtswidrig“. Auch Politiker aus vielen Lagern sehen die Maßnahmen als unverhältnismäßig und unpraktikabel. „Das ist ein Grundrechtseingriff“, sagt Waltraut Verleih als Anwältin des 40 000 Mitglieder starken Frankfurter Fanclubverbandes. Vor das Darmstädter Verwaltungsgericht zieht auch ein Familienvater, der in Darmstadt wohnt - und Eintracht-Fan ist.
Wie reagieren die Fans?
Bereits am Dienstagabend, wenige Stunde nach Bekanntgabe des Aufenthaltverbots, gingen Anhänger der beiden Abstiegskandidaten in der Darmstädter Innenstadt aufeinander los. Viele 98-Anhänger lehnen die Kollektivstrafe jedoch ab und solidarisieren sich mit den gegnerischen Anhängern.
Und die Vereine?
Während sich die Eintracht durch Hellmann klar positionierte, hält sich Darmstadt zurück. „Lilien“-Kapitän Aytac Sulu sagte dem „Kicker“: „Als Fußballer willst du Stimmung im Stadion haben. Und mit zwei Fanlagern auf den Rängen macht es mehr Spaß.“
Was entschied das Verwaltungsgericht?
Das Verwaltungsgericht Darmstadt kippte das Aufenthaltsverbot am Donnerstagabend. Fünf von sechs eingereichten Eilanträge habe die Kammer für zulässig und in der Sache auch begründet erachtet. Man habe die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen gegen die Verfügung der Stadt wieder hergestellt. Gegen diese Entscheidung kann Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel erhoben werden. Ob die Sperrzone am Freitagabend in Kraft tritt oder nicht, ist damit noch offen.