SV Darmstadt 98 Grenzwertige "Gelbsucht" bei Darmstadts Spielern
Beim SV Darmstadt 98 kassieren gleich fünf Spieler eine Sperre fürs Bayern-Spiel, um unbelastet und ausgeruht in Bremen antreten zu können — das schürt zumindest einen Verdacht.
Darmstadt. Klaus Pöttgen verantwortet als Mannschaftsarzt beim SV Darmstadt 98 die gesamte Krankheitsvorsorge. Der aus dem Triathlon stammende Mediziner hat den Bananen- und Kuchenkorb aus der Kabine verdammt, stattdessen werden Energiegels und Eiweißpräparate gereicht. Keine Frage, auf die Pöttgen im internistischen Bereich keine Antwort hat. Aber hat er auch ein Mittel gegen Gelbsucht? Denn was sich am Samstag auf dem matschigen Rasen des Stadions am Böllenfalltor in den letzten Minuten abspielte, trug beinahe die Züge einer Epidemie. Eigentlich hätten der Gastgeber ja den 1:2-Rückstand gegen Bayer Leverkusen aufholen müssen, statt dessen leisteten sich nacheinander Aytac Sulu (84.), Marcel Heller (85.), Peter Niemeyer (88.) und Konstantin Rausch (90. +2) ziemlich törichte Fouls.
Genau wie Jerome Gondorf (37.) holten sie sich eine Gelbe Karte mit Folgen ab. Denn damit sind tatsächlich alle fünf vorbelasteten Akteure fürs Auswärtsspiel beim FC Bayern gesperrt. Eine Woche später steigt dann die viel wichtigere Partie bei Werder Bremen — und dann sind alle Stammspieler, die Hälfte bestens erholt, wieder dabei. Nur die Verwarnung von Jan Rosenthal (69.) blieb folgenlos. Speziell bei Niemeyer und dem spät eingewechselten Rausch erhärteten die Fernsehbilder die Mutmaßung, dass die Strafe durch Schiedsrichter Jochen Drees sogar gewollt war.
„Bei den Bayern hätten wir ohnehin nicht hoch gewonnen“, lächelte Trainer Dirk Schuster im Fernsehinterview den Anfangsverdacht zur „Block-Sperre“ weg. Kapitän Sulu reagierte pikiert. „Es war eben eine hektische Schlussphase.“ Und wer sage denn, dass Darmstadt bei den Bayern chancenlos sei — man habe im DFB-Pokal nur 0:1 verloren. Doch das Getuschel und Geraune ging hinterher sogar in den Containern weiter, die in Darmstadt als VIP-Räumlichkeiten dienen.
Unweigerlich wurde über die Parallelen zum legendären Ausspruch „Mach`et, Otze!“ gesprochen. Zur Erinnerung: Im Pokalhalbfinale 1991 zwischen den 1. FC Köln und MSV Duisburg (3:0) hatte der damalige Trainer Erich Rutemöller seinen Stürmer Frank Ordenewitz aufgefordert, per Ballwegschlagens die zweite Gelbe, was damals glatt Rot nach sich zog, zu provozieren, um fürs Finale wieder spielberechtigt zu sein. Weil Rutemöller jedoch den Plan ausplauderte („Mach‘ et, Otze!“), wurde sein Angreifer nachträglich gesperrt — und auch gleich die Regularien verändert.
Haben sich auch Darmstadts Akteure eine Auszeit zum passenden Zeitpunkt abgeholt? Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler äußerte hinter vorgehaltener Hand Zweifel, dass hier der Zufall Regie führte. Sein Coach Roger Schmidt hatte sich in der Schlussphase wegen des Niemeyer-Checks — der Mittelfeldmann sah dafür die zehnte Gelbe — am Spielfeldrand dermaßen aufgeregt, dass Schuster ihn in dessen Coaching Zone aufsuchte, um etwas unter Kollegen zu erklären. Den wahren Hintergrund?
Entsprechende Nachfragen umschiffte Schuster geschickt: „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Auf die Frage, wie das Fehlen des Quintetts in München zu bewerten sei, meinte der 48-Jährige nonchalant: „Wir haben eine Reihe von Akteuren aus der zweiten Reihe, die mal dran sind, aufs Feld geschickt zu werden. Und dann werden wir versuchen, die Bayern im Zaum zu halten.“ Torjäger Sandro Wagner versicherte: „Elf Mann werden wir noch zusammenkratzen.“
Sich mit allen Möglichkeiten einen Vorteil zu verschaffen — dieses Stilmittel hat der Emporkömmling fast perfektioniert. Auf Schalke fiel gleich zu Saisonbeginn mal das extreme Zeitschinden bei eigener Führung auf. Bei Auswärtsspielen macht Spielführer Sulu nach gewonnener Seitenwahl von der Möglichkeit Gebrauch, den Gastgeber nicht auf die Fankurve spielen zu lassen. Und bei Heimspielen liegt derzeit ein Untergrund aus, der gewiss „nicht bundesligatauglich ist“, wie nicht nur Leverkusens Kevin Kampl festgestellt hat. Dass der Neuling alles ausreizt, um mit seinen limitierten Mitteln die Klasse zu halten, ist ja legitim, aber diesmal könnten die Lilien überzogen haben.
Zumindest steigert das Vorgehen nicht die Sympathiewerte eines Vereins, der sich zu Saisonbeginn den Slogan gab, „aus Tradition anders“ zu sein. Übrigens: Klaus Pöttgen erklärte auf Anfrage, er habe tatsächlich fünf Minuten lang überlegt, was gegen Hepatitis helfen könnte…